In einer deutschen Schule im Libanon haben Muslime und Christen gemeinsam gelernt – vor dem Krieg. Nun ist das Schulgebäude ein Flüchtlingslager
Ein Interview von Anne Fromm
Die Johann-Ludwig-Schneller-Schule ist eine Einrichtung für christliche und muslimische Kinder. Viele von ihnen sind Waisen, sie leben in den Wohnheimen der Schule.
Dr. Riad Kassis ist protestantischer Pastor im Libanon. Seit 1991 arbeitet er an der Johann-Ludwig-Schneller-Schule in der Bekaa-Ebene im Süden Libanons. Seit 1999 ist er deren Direktor.
Anne Fromm
hat gestern mit Dr. Kassis telefoniert.
Anne Fromm: Wie läuft ein Schultag momentan ab?
Riad Kassis: Wir haben drei Tage nach Kriegsbeginn alle Schüler und Mitarbeiter nach Hause geschickt. Einige Angestellte sind trotzdem geblieben und kümmern sich nun um die umgesiedelten Menschen.
Was sind das für Menschen?
Die Schule ist zu einem Flüchtlingslager geworden. Wir haben fast 300 Menschen aufgenommen, die aus dem Westen der Bekaa-Ebene gekommen sind. Die meisten von ihnen sind Frauen mit ihren Kindern. Der Großteil sind aber Flüchtlinge aus einem etwa zehn Kilometer entfernten schiitischen Dorf. Hier in der Schule ist es für sie sicherer als in ihren Häusern, die teilweise schon zerstört sind. Trotzdem gibt es natürlich keine Garantie dafür, dass nicht auch hier bald die Bomben fallen.
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Warum haben Sie die Türen der Schule für die Flüchtlinge geöffnet?
Die Schule befindet sich im Südlibanon. Unsere Umgebung ist täglich Zielscheibe der Angriffe. Wenn ich aus dem Fenster schaue, bietet sich mir ein Bild des Grauens: Viele Straßen und Brücken sind zerstört, Gebäude liegen in Schutt und Asche. Die Menschen wissen nicht, wohin. Sie verlassen ihre teilweise völlig zerbombten Häuser auf der Suche nach einer Bleibe. Kirchen, Moscheen und eben Schulen dürfen nicht angegriffen werden. So war es klar, dass wir die Flüchtlinge aufnehmen.
Wie sieht es in der Schule jetzt aus? Wie geht es den Menschen?
Die Situation ist erdrückend. Schon jetzt ist es schwierig, den Überblick und die Kontrolle zu behalten. Täglich kommen neue Flüchtlinge. Natürlich schicken wir niemanden weg, aber langsam wird es eng. Die Menschen schlafen auf den Fluren, in der Aula und in den Klassenräumen. Zwar bekommt jeder eine Matratze und einen Schlafplatz. Nahrung und Medizin haben wir aber nicht. Wir haben Angst, dass sich Krankheiten ausbreiten. Außerdem ist die Stromversorgung komplett zusammengebrochen. Wir haben hier zwar einen Generator, aber der Diesel geht langsam zur Neige.
Was brauchen Sie derzeit am nötigsten?
In der Schule benötigen wir dringend Nahrung und Medizin. Wir hoffen auf die internationalen Hilfsorganisationen.
Erzählen Sie mehr von der Schule. Wie war es vor dem Krieg?