Ukraine
Ukrainischer Kindergarten
Die Orange Revolution im Herbst 2004 hat vielen Hoffnung gemacht: Doch jetzt ist der damals abgewählte Wiktor Janukowitsch wieder an der Macht. War alles umsonst?
Tomma Schröder
Alles hatte so gut angefangen: Die schöne Julja, der väterliche Juschtschenko. Das friedliche, aber standhafte Volk. Es war ein perfekter Plot. Doch etwas
ist schiefgelaufen. Wenn in den letzten Tagen Bilder aus dem ukrainischen Parlament übertragen wurden, wurde man den Eindruck nicht los, in den Klassenraum einer unserer berüchtigten Berliner Stadtteilschulen zu blicken. Da wurde gerauft, gepöbelt, geboxt und gelärmt. "Das hat schon etwas von Kindergarten", meint Heiko Pleines, Experte für die Ukraine an der Forschungsstelle Osteuropa. "Erst sieht es so aus, als würden die Orangenen die Koalition bilden, und was macht die Opposition? Sie blockiert das Parlament. Dann dreht sich die Situation, daraufhin nehmen die Orangenen Sirenen und sprengen die Sitzung."
Die Orangenen – das ist "Nascha Ukraina", die Partei des Präsidenten Juschtschenko, und der "Blok Julja Timoschenko" - oft etwas pauschal
als prowestlich und demokratisch bezeichnet. Zu den Orangenen - gehörte bis vor kurzem auch die Partei der Sozialisten. Doch deren Chef, Olexander Moros, spürte, dass noch mehr möglich war. Anstatt mit
seiner 6%-Partei einen unbedeutenden und postenlosen Koalitionspartner
zu stellen, ließ er sich von der Gegenseite als Parlamentsprecher
einkaufen. In dieser Position verkündete er der verdutzten
Öffentlichkeit die Bildung der so genannten "Antikrisenkoalition".
Drahtzieher und Nutznießer der "Antikrise" ist Viktor Janukowitsch mit
seiner "Partei der Regionen". Der ehemalige Premierminister, der von
der orangenen Revolution 2004 entthront worden war, wird sich nun von
Kommunisten und Sozialisten wieder ins Amt heben lassen.
So wechselten Opposition und Regierungsparteien am Dienstag die Plätze.
Seitdem blockieren nicht mehr die blauen Janukowitsch-Anhänger die
Parlamentssitzungen, sondern die orangenen Streiter. Von "Antikrise"
keine Spur. Juschtschenko wie Timoschenko sprechen von Verrat und
monieren, dass Moros gesetzeswidrig die Seiten gewechselt habe. Denn
laut Vorschrift hätte der Sozialistenchef die Parteien
Juschtschenkos und Timoschenkos zehn Tage im Voraus über seine Absicht,
aus der orangenen Koalition auszuscheiden, informieren müssen. "Dieses
Verfahren ist genau deswegen eingeführt worden, damit sich die
Koalitionspartner nicht einfach gegenseitig fallen lassen können",
beschwerte sich Timoschenko in einem Interview mit der russischen
Zeitung
Izwestija
. Tatsächlich ist die Regelung getroffen worden, um
den oft durch Schmiergelder geförderten Wankelmut der Parlamentarier zu
schwächen. Anscheinend erfolglos.
Für Heiko Pleines liegt das Problem darin, dass "die demokratischen
Spielregeln nicht eingehalten werden." Wer sich mit seiner Meinung oder
seiner Partei in der Minderheit befindet, zerstört das Gerät zur
elektronischen Stimmabgabe, lässt Sirenen heulen, intrigiert, schimpft
und schlägt bockig um sich. "Unter diesen Umständen ist es erstmal
zweitrangig, wer an die Macht kommt. Viel wichtiger ist es, dass die
demokratischen Standards in der Ukraine akzeptiert werden", meint der
Experte, und fügt nüchtern hinzu: "Das ist natürlich ein
langer Prozess."
Wenn die Ukraine in gut einem Monat den 15. Jahrestag ihrer
Unabhängigkeit feiert, dann glaubt jedoch kaum noch jemand an einen
märchenhaften Ausgang der orangenen Revolution. Mit einer stabilen
Regierung würden sich die meisten schon zufrieden geben.