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Gefühlslupe

Über die Grenze

Almut hat Höhenangst - und ein 45 Meter hoher Kran will erstmal bestiegen sein

Kleiner Finger. Ringfinger. Mittelfinger. Zeigefinger. Meine Hand trommelt auf der Sprosse der Leiter. Ich hebe einen Fuß, um ihn eine Sprosse runter zu setzen. Hebe eine Hand, um eine Sprosse höher zu umgreifen. Ziehe mich hoch, sinke zurück – als würde ich an einer unsichtbaren Wand aus Angst abgleiten. Eben noch war ich fest entschlossen, einen Baukran hochzuklettern, jetzt setzt mir meine Panik vor der Höhe eine Grenze, und ich schaffe es nicht, sie zu überwinden. Mist.

Wie zum Teufel bin ich bloß hierher gekommen? Ich muss aus dem beruflichen Nähkästchen erzählen. Meine Redaktion plante eine Reportage über den Alltag eines Kranführers, einen Bericht aus der Führerkabine. Ich habe Angst vor Höhe und bekam Lust auf die Herausforderung, meine Grenzen zu überschreiten, konstruktiv – ist ja für den Job. In der Fußgängerzone unserer Stadt befand sich gerade exakt der Kran den wir brauchten, 45 stolze Meter hoch. Ich meldete mich freiwillig und machte ich mich auf den Weg zu meinem Date mit dem Kranführer.

Ein Sog. Eine Sucht. Ein Hecheln nach mehr.

Ich gehe übers Kopfsteinpflaster, an meiner Seite der Fotograf. Ich sehe das Ding schon von weitem, majestätisch ragt es in den Himmel. An der Baustelle gibt uns der Bauleiter noch ein paar Anweisungen. Der Kranführer sitzt oben und bedient den Kran. Wir sollen zu ihm hinaufkraxeln über die einzelnen Ebenen, die bis zur Kabine hoch durch Feuerleitern miteinander verbunden sind. Der Fotograf klettert mutig die Leiter empor.

Derweil hänge ich zwischen den Sprossen fest. Ich überlege. Wie sinnvoll ist es eigentlich, Grenzen zu überschreiten? Kommt immer auf die Grenze an. Darauf, was dahinter liegt. Und auf das Motiv, warum man sie überschreiten will. Nehmen wir... Schönheits-OPs: in meinen Augen nichts als fatale Folgen sagenhaft sinnfrei überschrittener Grenzen. Die Hemmschwelle, die jeder Mensch verspürt, wenn es um Eingriffe am eigenen Körper geht, würde ich nie übertreten wollen. Abgesehen vom Verrat an meiner Persönlichkeit, den ich mir selbst zufügen würde, ist das eine jener Grenzen, hinter der ein Sog lauert, eine Sucht, ein krankes Hecheln nach mehr. Der Kick auf einem Kran ist freilich ein anderer, aber ebenso hirnverbrannt, ginge es jetzt nur um eine blödsinnige Mutprobe.

„Immer schön nach oben gucken“

Aber um eine solche geht es jetzt nicht. Ich bin im Dienst, meine Redaktion rechnet mit der Geschichte, ich bin aus eigenen Stücken hier. Und jetzt das! Unglücklich hangele ich mich wieder hinab. Ich frage den Bauleiter, wann der Kranführer zur Mittagspause nach unten kommt. Eine Stunde später stehe ich Rudi gegenüber, so heißt der Mann. Rudi haut mir auf die Schulter, „wir machen das zusammen. Damit Sie Ihre Geschichte kriegen“, freundlich-väterlich brummt er mir zu. Ich stelle mich an den Absatz der ersten Metallleiter, blicke am Baukran empor. „So ist es richtig. Immer nur nach oben gucken“, der Kranführer stupst mich sanft in den Rücken.

Ich klettere. Setze einen Fuß vor den anderen. Komme wieder an die Stelle, wo es wirklich hoch wird, mir die unsichtbare Wand aus Angst den Weg versperrt. Mein Herz hastet, stolpert, fällt. Ich knipse meine Gedanken aus. Klettere. Mache. Setze mich in Bewegung. Ein Fuß auf die nächste Sprosse. Eine Hand auf die nächste Sprosse. Weiter. Einfach weiter. Ich ziehe mich hoch. Reiße die Wand aus Angst nieder, bündele sie zur imaginären Schranke, die sich nun querlegt vor mir. Und steige über sie hinweg.

„Wenn jetzt ein Vogel gegen dich kracht, ist alles vorbei“

Die Angst lässt sich nicht abschütteln, hat sich von der Schranke in einen unsichtbaren Begleiter verwandelt. Jetzt klettert sie neben mir her. Ist okay. „Immer schön nach oben gucken“, der Kranführer brummt in meinem Rücken. An einer Stelle, wo der Kran einen Knick macht und überleitet zur Führerkabine, muss man sich hochstemmen durch einen Eisenring und kommt an auf einem kleinen Plateau unter freiem Himmel, 45 Meter hoch. Ein Geländerchen ringsherum, ein paar Stufen, die man hinabgehen muss. Dann noch über eine kleine Brücke und man ist in der Führerkabine.

Ich stehe auf dem Plateau, schwankend, grübelnd: wenn jetzt ein Vogel gegen dich kracht, ist alles vorbei... Die Angst jault beleidigt, als ich sie zur Seite kicke, die Stufen hinab tappe, über die Brücke und schwupp: in die Kabine schlüpfe. Langsames Einatmen. Langsames Ausatmen. Ich habe eine Grenze überschritten. Eine Angst, die mich fast gelähmt hätte. Erleichterung durchkribbelt mich, ein sonniges, wonniges Glücksgefühl von der Haarspitze bis zum kleinen Zeh. Eine Stunde bin ich oben, bevor Rudi einen Typ von der Baustelle hochbestellt, der mich anleiten soll beim Abstieg. „Keine Angst“, brummelt Rudi zum Abschied, ich haue ihm auf die Schulter. Ach was. Angst. Ich grinse schief. Denn so wirklich weiß ich noch nicht, wie das gleich gehen soll mit dem Abstieg; das „immer schön nach oben gucken“ funktioniert ja nun nicht mehr so ganz...


 
 



 

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