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Spanien

Besser bei Mama

Die erste eigene Wohnung: Wie großartig, früh um vier Sex auf dem Küchentisch zu haben und am schmutzigen Geschirr zu beobachten, welche Wunder die Natur hervorbringt. Immer mehr junge Spanier verzichten jedoch auf diese Erfahrung: Sie bleiben bei Mama

Die erste eigene Wohnung ist wie der erste Kuss oder die erste Zigarette: Man vergisst sie nie. Immer weniger Spanier aber machen diese Erfahrung, jedenfalls nicht in jungen Jahren. Denn im Gegensatz zu den Briten, die meist schon mit 18 oder 19 Jahren bei Mama und Papa ausziehen, und den Deutschen, die ihr Elternhaus meist mit Anfang Zwanzig gegen die erste WG eintauschen, bleiben die Spanier einfach im Nest hocken: Im vergangenen Jahr notierte das Institut für Jugend (Instituto de la Juventud), dass knapp zwei Drittel aller 25- bis 29-Jährigen und fast ein Drittel aller 30- bis 35-Jährigen immer noch bei Mutti wohnen. Sind die jungen Spanier ein Haufen bequemer Muttersöhnchen und -töchterchen oder einfach die besseren Rechner?

Das Phänomen der „Spätemanzipation“ war in den letzten Jahren das Thema vieler medialer Auseinandersetzungen in Spanien. Sehr zum Unverständnis spanischer Jugendlicher, denn als Nesthocker muss man sich schon längst nicht mehr rechtfertigen. Auf die Frage, warum sie mit Ende Zwanzig immer noch bei ihren Eltern wohnen, reagieren viele überrascht: „Warum sollte ich denn ausziehen?“ Denn es geht ihnen ja gut zu Hause. Marc Malé aus Barcelona ist 26 Jahre alt und verdient als Wirtschaftsprüfer über €2000 netto im Monat. Trotzdem bleibt er in seinem 10-Quadratmeter-Kinderzimmer mit 90cm-Bett in der Wohnung seiner Eltern, die er zusätzlich noch mit seiner 20-jährigen Schwester und den Großeltern teilt. „Meine Eltern stören mich nicht, ich bin ja sowieso fast nie zu Hause. Warum sollte ich unnötig Geld für Miete hinauswerfen?“

So wie Marc denken viele Spanier. „Ich kann mir keine eigene Wohnung leisten“, ist der am häufigsten genannte Grund für die Nesthockerei. Auch wenn ökonomische Zwänge bei Marc wenig plausibel erscheinen: Wirtschaftliche Argumente sind generell nicht zu missachten in einem Land, das eine neue soziale Klasse, die „Mileuristas“ genannt, hervorgebracht hat: Junge Menschen, die trotz Universitätsausbildung, Fremdsprachenkenntnissen und diversen Zusatzqualifikationen kaum mehr als €1.000 im Monat verdienen. Viele spanische Jugendliche sind einfach nicht in der Lage, mit ihrem Einkommen Auto, Handy und Wohnung zu bezahlen und am Ende des Monats immer noch genug Geld für Essen und Unterhaltung übrig zu haben. Daniel Parra ist 28 Jahre alt, betreibt eine Sprachschule in Montcada bei Barcelona und lebt bei seinen Eltern. Auch er tut das aus ökonomischen Gründen. „Wie soll man sich denn bei den heutigen Immobilienpreisen noch eine Wohnung kaufen? Wenn ich in der Nähe von Barcelona bleiben möchte, bedeutet das eine Hypothek von mindestens 30 oder 40 Jahren. Die können meine Kinder dann abbezahlen.“ Über Wohngemeinschaften, die eine ähnliche wirtschaftliche Lösung bieten könnten, wird erstaunlich wenig nachgedacht. „In Spanien gibt es einfach keine Mietkultur“, meint Fran, Daniels Geschäftspartner. „Die meisten Leute betrachten Miete als rausgeschmissenes Geld.“ Man zieht also meist erst aus dem Elternhaus aus, wenn man mit dem Lebenspartner zusammen eine Hypothek aufnehmen kann. Oder wenn die Eltern oder Großeltern eine Wohnung zur Verfügung stellen, oft im gleichen Haus oder wenigstens in der gleichen Nachbarschaft.

Und die Eltern, wollen die ihre Kinder nicht irgendwann loswerden? Überraschenderweise nein, denn wie in Italien bleiben spanische Familien gerne zusammen. Im Durchschnitt leben in 4,5 Prozent aller spanischen Haushalte drei Generationen oder mehr. Dieser traditionelle Familienzusammenhalt erklärt die Toleranz jener Eltern, deren 30-jähriger Sohnemann und die nur wenige Jahre jüngere Tochter noch immer zu Hause wohnen. Und die mangelnde Popularität von Wohngemeinschaften. „Wenn ich schon mit jemandem zusammen leben muss, dann doch lieber mit meiner eigenen Familie als mit irgendwelchen Fremden!“, meint Daniel.

Viele Spanier geben trotz allem zu, dass Bequemlichkeit eine wichtige Rolle spielt. „Die Leute sind einfach zu egoistisch und bequem, um von daheim auszuziehen“, meint Marc. „Ich zum Beispiel muss nicht waschen oder putzen, und der Kühlschrank ist immer voll. In meinem Freundeskreis zieht keiner vor 25 oder 26 aus.“ Marcs Freunde kommen wie er aus der Mittelklasse. Er glaubt, dass viele darauf warten, sich den selben Lebensstandard wie ihre Eltern leisten zu können, bevor sie sich emanzipieren. Im Grunde genommen ist es eine Frage von Prioritäten: Was ist wichtiger, um vier Uhr morgens Sex auf dem Küchentisch haben zu können oder nicht das Bad putzen zu müssen? Viele junge Spanier sehen ihre Unabhängigkeit nicht eingeschränkt, nur, weil sie auf dem Weg zum Bad ihrer Mutter über den Weg laufen. „Ich kann zu Hause tun und lassen was ich will, ich würde durch eine eigene Wohnung nichts gewinnen, was mir wichtig wäre“, erklärt Marc. Die Idee, unten anzufangen und sich langsam, von Wohnung zu Wohnung hochzuarbeiten, scheint eher deutsche Romantik zu sein. Der spanische Ansatz ist anders, irgendwie pragmatischer. Doch obwohl es nicht Misstrauen in die Tragkraft der eigenen Füße ist, die die Spanier zu Hause hält: Eine 28-Jährige, die keine Ahnung hat, was ein Liter Milch kostet, gibt dann doch zu denken.


 
 



 

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