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Interview

"Auch im Netz gibt es Grenzen"

TEIL 2

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die nachträgliche Sicherungsverwahrung nun auch für Täter nach dem Jugendstrafrecht möglich zu machen. Das heißt, auch solche Verurteilte könnten nach Absitzen ihrer Strafe unbefristet im Gefängnis gehalten werden. Wie stehen sie dazu?

Ich halte es für sinnvoll, solche Menschen, bei denen am Ende des Strafvollzugs deutlich wird, dass von ihnen noch immer schwerwiegende Gefahren ausgehen, hinter Schloss und Riegel zu halten. Es geht nicht darum, 16-Jährige, die sich bessern könnten, in Verwahrung zu nehmen. Es geht um Straftäter, die sich erst nach der Gerichtsverhandlung als nicht therapierbar erweisen. Deswegen wird auch im Gesetz stehen, dass sich die besondere Gefährlichkeit während des Strafvollzugs erwiesen haben muss. Wir hatten einen jungen Rechtsextremisten im Gefängnis, der immer wieder Straftaten mit rechtsextremistischen Hintergrund verübt hat. Der ist in Haft immer wilder und fanatischer geworden. Er hat angekündigt, wieder Gewalt gegen Ausländer auszuüben, nur diesmal ohne sich erwischen zu lassen. Der Anstaltspsychologe, die Behandelnden in der Justiz und sogar seine Mutter haben uns gewarnt, dass er mit Sicherheit wieder schwerste Straftaten begehen würde. Wir mussten ihn entlassen. Wir wissen jetzt nur, dass er in ein anderes europäisches Land gegangen ist.

Glauben Sie nicht, dass ein solcher Täter seine Absichten eher verschwiegen hätte, wenn man ihm gedroht hätte, weiter verwahrt zu werden?

Es ist die Aufgabe der Behandelnden, derartige Verhaltensweisen zu erkennen. Und die Hürden sind so hoch, dass niemand vorschnell in Sicherungsverwahrung kommt.

Vor kurzem wurden zwei Gerichtsgutachter verurteilt, weil sie einem Straftäter ein zu mildes Zeugnis ausgestellt hatten. Besteht die Gefahr, dass mehr Gutachter aus Furcht vor Fehlentscheidungen im Zweifel eher gegen die Straftäter entscheiden?

Es reicht ja nicht, dass der Gutachter nicht ausschließen kann, dass ein Täter rückfällig wird. Er muss zu dem Schluss kommen, dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwere Straftat besteht. Das ist selten der Fall. Nach meiner Erfahrung sind die Gutachter eher in die andere Richtung anfällig.

Es gibt eine Statistik des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), nach der die Deutschen glauben, die Zahl der Sexualmorde sei in den vergangenen zehn Jahren um 260% gestiegen. In Wirklichkeit ist sie aber um siebzig Prozent gesunken. Würden sie das als überzogene Angst bezeichnen?

Ich halte die These für falsch, nach der die Gewaltkriminalität in Deutschland gesunken sei. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war die Kriminalität besonders hoch, daher taugt das Bezugsjahr 1993 nicht als Ausgangspunkt. Über einen Zeitraum von 25 Jahren haben die Gewalttaten deutlich zugenommen. Das haben auch Untersuchungen des bayerischen Innenministeriums gezeigt. Ich habe Professor Pfeiffer, der die Studie verfasst hat, geschrieben, dass diese Entwicklung nicht von den Medien gemacht ist, sondern real existiert.

Sie glauben nicht an überhöhte Angst?

Dass es dabei auch psychologische Faktoren gibt, bestreite ich ja nicht. Wir wissen, dass es die höchste Kriminalitätsfurcht bei Älteren gibt, obwohl diese am wenigsten von Straftaten bedroht sind. Während die häufigsten Opfer, die Jugendlichen, sich am wenigsten von Kriminalität bedroht fühlen. Es gibt tatsächlich eine subjektive Sicherheitswahrnehmung, die sich deutlich von der objektiven Sicherheitslage unterscheidet. Ich will aber hervorheben, dass es in bestimmten Bereichen durchaus eine Zunahme der Gewalt gibt.

Sie haben vor kurzem die Leitkultur wieder ins Gespräch gebracht. Sie sagten, mehrere Kulturen könnten in Deutschland nicht gleichberechtigt nebeneinander existieren.

Wenn unterschiedliche Kulturen nebeneinander herleben, besteht die Gefahr, dass Parallelgesellschaften entstehen. Dabei ist dann wiederum die Gefahr sehr groß, dass dieses Nebeneinander irgendwann zu einem Gegeneinander wird. Ich begründe das mit Erfahrungen aus der US-amerikanischen Gesellschaft, mit den Black Cities und Chinatowns, aber auch mit den Banlieues in Frankreich oder den Surburbs in London. Unsere Vorstellung ist eine andere: Wir wollen eine Gesellschaft, die offen und tolerant ist, wo unterschiedliche Ethnien, Überzeugungen und Religionen in gegenseitiger Achtung und dem Respekt vor der Unterschiedlichkeit miteinander leben. Aber die Gemeinsamkeit soll die Überzeugung sein, dass alle ihren Beitrag für das eigene Land, die eigene Stadt bringen sollen. Mir geht es bei der Leitkultur nicht um den Begriff, der missverständlich ist. Völlig unterschiedliche kulturelle Vorstellungen, eine Parallelgesellschaft, in der Zwangsheiraten die Regel sind, in der es keine Religionsfreiheit gibt, in der Mann und Frau nicht gleichberechtigt sind, sind für uns aber nicht akzeptabel. Wir haben in Deutschland nicht nur die bloße formelle Rechtsordnung, sondern auch die ihr zugrundeliegende Werteordnung zu beachten.

Sie wollen keinen Schmelztiegel der Kulturen.

Natürlich verändert sich auch unsere Kultur massiv. Wir leben hier heute ganz anders als vor fünfzig Jahren, als es etwa noch den Straftatbestand der Kuppelei gab. Der Umgang mit Religionen und Ausländern, mit Homosexualität, all das hat sich verändert. Die Offenheit und Liberalität ist viel größer geworden. Das begrüßen ja auch die allermeisten Menschen. Das muss auch weitergehen, das ist kein abgeschlossener Prozess. Ich habe nur Sorge, dass unterschiedliche Kulturen intolerant nebeneinander leben könnten.

Sie fordern stärkere Integrationsbemühungen der Ausländer in Deutschland. Haben denn nicht auch die Deutschen Aufholbedarf beim Aufeinander-Zugehen?

Selbstverständlich. Zum Beispiel sollte versucht werden, mehr junge Ausländer dazu zu bewegen, in Sportvereinen oder in der Feuerwehr mitzuarbeiten. Die gesellschaftlichen Kontakte müssen erhöht werden. Man sollte versuchen, junge Spätaussiedler in Kirchengemeinden aufzunehmen, ihnen Nachhilfe beim Deutschlernen zu geben. Sie sollten mit offenen Armen aufgenommen werden. Integration muss gefördert, aber auch gefordert werden. Das Fordern ist aber nur die eine Seite, das Fördern die andere.

Wie kann man die Aufforderung zur kulturellen Integration an junge Migranten übersetzen?

Da spielen insbesondere Kindergarten und Schule eine wichtige Rolle. Natürlich auch das Freizeitverhalten. Ich sehe mit Sorge, dass es immer mehr türkische, jugoslawische Sportvereine gibt. Mir wäre es lieber, wenn Türken, Jugoslawen, Spätaussiedler und Deutsche zusammen in einer Mannschaft spielten.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die forsche Rhetorik vom Fordern und der Leitkultur junge Migranten trotzig machen und sie von der Integration abhalten könnte?

Ich glaube das nicht, zumal wir in der Vergangenheit viel zu wenig gefordert haben. Wir haben uns ja nicht einmal getraut, zu sagen, dass es notwendig ist, dass Migranten Deutsch lernen. Inzwischen hat sich das gottseidank geändert. Wir müssen Zuwanderern klarmachen, dass sie sich in ihrem eigenen Interesse anstrengen müssen. Ein Ausländer muss natürlich mehr an seiner Integration arbeiten als ein Einheimischer.


 
 



 

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