Reisen

Der alte Mann und sein Esel

Handgepäck vergessen, Flug gestrichen, noch zehneinhalb Stunden bis zum Anschlussflug. Reisen geht heutzutage sehr schnell - das macht ungeduldig.

Die Kolumne von Selim Özdogan

Es gibt die Geschichte von dem Mann, dem sie stolz berichten, dass nun eine Eisenbahnstrecke gebaut worden ist und er den Weg, für den er sonst auf dem Rücken des Esels 30 Tage gebraucht hat, nun an einem Tag schaffen kann. Ja, und was mache ich dann die restlichen 29 Tage?, will der Mann wissen.

Einige Stunden bevor ich aus dem Haus muss, mailt mir Björn, er habe ein komisches Gefühl. Später werde ich das auf den Unfall beziehen.

Mein Bruder fährt mich zum Flughafen, wir verabschieden uns und auf dem Weg zum Schalter fällt mir siedend heiß ein, dass mein Handgepäck noch auf dem Rücksitz liegt. Alles Wichtige ist darin, der Rucksack, den ich aufgeben will, könnte ja verloren gehen.

Ich renne raus, doch es ist zu spät, ich sehe den Wagen nur noch um die Ecke biegen. Spurte hinein, Münzen ins Telefon, völlig außer Atem, es klingelt, einmal, zweimal, dreimal, viermal, jetzt geh dran, geh dran, fünfmal.

Ja?

Fahr um. Meine Tasche liegt noch auf dem Rücksitz.

Ja, ich muss mal schauen, wo jetzt die nächste Ausfahrt ist.

Der Schalter, an dem ich einchecken soll, ist geschlossen, aber es stehen uniformierte Menschen dahinter. Ich bin etwas zu früh, denke ich und frage: Sie machen aber gleich auf?

Nein, sagt sie Dame, alle Flüge nach Madrid sind gestrichen. Es gab einen Unfall. Sie müssen sich da vorne anstellen, sie werden umgebucht.

An dem Schalter, den sie mir genannt hat, gibt es zwei Schlangen, Leute, die nach Madrid wollten und Menschen, die über Madrid woanders hin wollten. Die Reisenden nach Madrid werden schnell abgefertigt, sie fliegen am nächsten oder übernächsten Tag.

Was mit denen in meiner Schlange geschieht, weiß ich nicht. Mein Kopf rattert wie so oft unnötig in die Zukunft. Muss ich mit dem Zug nach Hause? Oder würde ich es vorziehen in einem Hotel in Düsseldorf zu bleiben? Um wieviele Tage verzögert sich nun mein Flug? Habe ich immer noch nicht gelernt, daß Dinge selten nach Plan laufen?

Ich werde umgebucht, fliege nun nach Zürich, in etwa einer Stunde schon, von dort nach Sao Paolo, dann Santa Cruz, dann La Paz. Neue Ankunftszeit gerade mal eine Stunde und fünfzehn Minuten später als geplant.

Von Zürich bis Sao Paolo sitzt niemand neben mir und ich schlafe die meiste Zeit so breit ausgestreckt, wie man es auf zwei Sitzen kann. Um halb sechs morgens Ortszeit kommt mein Flieger in Brasilien an, um sechzehn Uhr geht der Flieger nach Santa Cruz in Bolivien, ich darf den Transitbereich nicht verlassen.

Eine Dose Eistee und ein Baguette kosten fünfzehn US Dollar. Die amerikanischen Fußballerinnen besiegen auf dem Bildschirm die Brasiliannerinnen. Davor oder danach, ich weiß es nicht mehr, kommt Dressurreiten. Ich nehme mein Buch zur Hand. Die Zeit vergeht nicht. Ich kann wahrscheinlich auch in einem halben Jahr noch die Auswahl an Waren im Duty Free Bereich auswendig. 300 Seiten und noch einige Medaillen später sitze ich endlich im Flieger. In dem die Zeit auch nicht vergeht. Aber wenigstens bewegt sich etwas.

In Santa Cruz noch mal etwa anderthalb Stunden Aufenthalt. Ich bin mittlerweile über 33 Stunden unterwegs und genervt. Diese anderthalb Stunden kommen mir noch länger vor als die Zeit im Transitbereich in Sao Paolo, auch weil in der Zwischenzeit ein Flieger nach La Paz geht, aber nicht der, auf den ich gebucht bin.

Ich schaue einfach zu, wie die Leute einsteigen und beneide sie, als hätten sie ein glückliches Leben. Anderthalb Stunden können lang werden, verdammt lang. Wenn man in einer Nacht nur anderthalb Stunden Schlaf bekommt, dann erscheint die Zeit einem viel zu kurz, aber wenn sie so lange wäre, wie ich sie in Santa Cruz empfunden habe, würde man ausgeschlafen erwachen.

Dann endlich lande ich an meinem Ziel, von dem ein Bekannter, der gerne an Flugsimulatoren spielt sagt: La Paz? Der Flughafen liegt auf fast 4000 Metern, die Luft ist so dünn, da bin ich noch keinmal heil gelandet bin.

Das Verquere ist, daß man ungeduldig wird, gerade weil es so schnell geht. Früher ist man die Strecke größtenteils mit dem Schiff gefahren.

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36 / 2008
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