Sex

Sei still und mach weiter

Über Sex soll man nicht reden.

Die Kolumne von Markus Kavka

"Machen kannst´n ganz gut, aber darüber reden kannst du nicht."

Dieser Satz fiel im Jahr 1984. Gesagt hat ihn meine damalige Freundin. Ich war gerade 17 geworden, sie war meine erste richtige Beziehung und auch die erste Frau, mit der ich schlief. Wir hatten gerade Sex, lagen nackt nebeneinander im Bett und sie wollte reden. Ich nicht. Keine Ahnung, warum dieser Satz mir so im Gedächtnis haften geblieben ist.

Ich schwöre an dieser Stelle auch Stein und Bein, dass nicht seine erste Hälfte dafür verantwortlich ist, sondern ganz klar seine zweite. Bis heute hat sich an diesem Sachverhalt auch nichts geändert. Ich spreche nicht gern über Sex. Darüber reden heißt für mich immer gleich zerreden. Was natürlich Quatsch ist, aber da kann ich offenbar nicht raus aus meiner Haut. Bin ich deswegen verklemmt?

Vermutlich ja.

In der diesbezüglichen Ursachenforschung geht man ja traditionell immer sehr weit zurück. So wurde ich beispielsweise nicht von meinen (sehr katholischen) Eltern aufgeklärt, sondern von Freunden, Mitschülern und Biologielehrern. Lange Zeit konnte ich deswegen komische Geräusche aus dem Schlafzimmer von Mama und Papa nicht zuordnen. Auch die vermeintlichen Joghurtflecken im Schrittbereich meiner blauen Jerseyschlafanzughose waren mir ein komplettes Rätsel. Lieber nicht darüber sprechen, das hört alles schon von alleine wieder auf.

Die Jungs in meinem Umfeld übertrafen sich derweil mit den unglaublichsten Geschichten im Hinblick auf ihre sexuelle Reife. Was die schon alles erlebt hatten! Einer berichtete mir von einem Samenerguss bis an die Zimmerdecke, den ihm eine heiße Lady aus der achten Klasse verschaffte, ein anderer hatte mit 14 schon zehn Frauen "gebumst", wie es damals noch verbreitet hieß.

Und ich? Stand beim Manchinger Volksfest am Autoscooter herum, im Arm schüchtern und wortlos einen ganz heißen Feger. Eine, hinter der das halbe Dorf her war, weil sie schon mit 14 ordentlich Brüste hatte. Sie wollte, dass wir uns küssten, und zwar so richtig. Das hatte ich vorher noch nie gemacht, und ich werde das irritierende Gefühl nie vergessen, als sie erst ihre Lippen auf meine presste und dann ihre Zunge durchschob. Mir wurde zunächst heiß und kalt, dann allerdings stellte ich fest, dass ihre Zunge sehr klein und fest war und sie überdies damit irrwitzig schnell um meine herumkreiste. Ich weiß noch, wie ich mir dachte: Das fetzt nicht, da kann ich auch mit unserem Kanarienvogel knutschen.

Meine männlichen Freunde ermunterten mich dazu, die Sache mit dem Küssen nicht so wichtig zu nehmen und mich stattdessen mehr ihrer stattlichen Oberweite zu widmen. Mein erster Versuch, eine Hand beiläufig unter ihr Top gleiten zu lassen, endete mit einer schallenden Ohrfeige. Am nächsten Tag machte sie Schluss.

Das hatte mich dann auf Jahre hin sehr defensiv werden lassen. Gerade in meinen längeren Beziehungen erwarb ich mir nicht gerade den Ruf eines Draufgängers, vielmehr war ich König Blümchensex. Nicht dass es bei all zu forscher Herangehensweise gleich wieder ein paar hinter die Löffel gab. Darüber reden hätte in der Zeit bestimmt geholfen, aber das fiel ja für mich aus. Bis 26 hatte ich zudem nur lange, feste Beziehungen mit einem soliden, aber eben mitunter unschuldigen und rückwirkend betrachtet nahezu niedlichen Sexualleben. One-Night-Stands und Affären waren mir vollkommen fremd.

Das sollte sich in meiner promisken Phase im Anschluss an eine fast siebenjährige Liaison ändern. Weil es mir in vielen Fällen reichlich egal war, ob ich die Frauen noch mal wiedersehe, war es mir auch in den betroffenen Nächten egal, wie das Geschehen aufgefasst werden könnte, und geredet werden musste sowieso nicht viel. Die Devise war, einfach mal alles zu machen, von dem man sonst nur gehört hatte. Rein technisch betrachtet lernte ich eine Menge in dieser Zeit, sehr vieles davon machte auch großen Spaß. Ich hatte allerdings schon recht bald das Gefühl, dass das Ganze eine gewisse emotionale Armut voraussetzte, es gab mir also auf Dauer nichts. Dennoch, ein paar wichtige und durchaus positive Erkenntnisse nahm ich in meine nächsten Beziehungen mit.

Zum Beispiel, dass zusammen Pornos glotzen für’n Arsch ist. Pornos finde ich ganz generell komisch. Bin ich deswegen jetzt schon wieder verklemmt? Ich bin zugegebenermaßen nicht so der Empiriker auf dem Gebiet, weil ich in meinem Leben aufgrund aufrichtigen Desinteresses erst etwa fünf von den Dingern geguckt habe. Die Typen darin waren komplette Vollhonks, die Frauen ganz eindeutig nicht mein Typ. Zu blond oder zu schwarz gefärbt, zu operiert, mit einem unfassbar schlechtem Unterwäschegeschmack, dazu mindestens genau so stulle wie ihre männlichen Kollegen, mit denen sie sich dann in Wohnungen oder Zimmern vergnügten, die mieser eingerichtet waren als ein Ibis-Hotel anno 1989.

Ich konnte meine Augen kaum von diesen fliederfarben-grau-mauve-gemusterten Sofas vor blassgrün-kackbraun-diagonalgestreiften Vorhängen auf fleckig-blauen Teppichböden lösen. Von den Dialogen beziehungsweise einer Handlung brauchen wir erst gar nicht zu reden. Da half auch die ganze Fick-Action nichts. Wenn dabei überhaupt etwas in Erregung geriet, dann mein Mitleid. Am schlimmsten ist die offenbar wichtigste Szene in einem Porno, der sogenannte Cumshot, also die Einstellung, in der der Mann vorzugsweise ins Gesicht, auf die Brüste oder den Po der Frau ejakuliert.

Da zieht der Kollege also vorher sein Ding raus, damit vor allem er voller Stolz erst auf sein erigiertes Glied glotzen kann, um dann sicherzugehen, dass da auch ordentlich was rausflutscht - was augenscheinlich als eindeutiges Zeichen dafür gewertet wird, dass ohne ihn die Menschheit nicht weiterbestehen würde. Und wenn die Frau hinterher noch alles ableckt, wie ein kleines Kätzchen, dann ist der Penis und damit auch der Mann wieder sauber. Super.

Trotzdem: Die Pornoindustrie gehört zu den wenigen Wachstumsbranchen in diesen wirtschaftlich rauen Zeiten. Obwohl, vielleicht ja gerade deswegen. Vermutlich bin ich einfach nicht die Zielgruppe, weil ich die Technisierung und Entmystifizierung von Sex ganz grundsätzlich ablehne. Immerhin sind die Sex-Magazine im Privatfernsehen deutlich weniger geworden, was man aber wohl weniger darauf schieben kann, dass die breite Masse meine Ablehnung teilt, sondern eher darauf, dass man angesichts des reichlichen Angebots im Internet mit Sendungen wie ´Tutti Frutti´, ´Peep´ oder ´Wa(h)re Liebe´ keinen mehr hinter dem Ofen vorlocken würde.

Sex ist ein Riesenthema, sozusagen der totale Mainstream, vom Spiegel-Titel übers Zeitungsfeuilleton bis rein in sämtliche Lifestyle-, Jugend-, Frauen- und Männermagazine. Langsam fällt es mir schwer zu glauben, dass darüber noch irgendetwas gesagt werden kann, das noch nicht gesagt wurde. Also: Nicht rumquatschen - einfach machen!

Insofern halte ich es weiterhin wie gehabt. Oder, um es mit der von mir sehr geschätzten Band Blumfeld zu sagen: "Lass uns nicht von Sex reden, ich weiß gar nicht, wie das gehen soll."

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06 / 2008
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