Männerkram
Willkommen im Fight Club
"Schluss mit dem Gewalt-Tabu", fordert der Pfarrer Thomas Hartmann. Ich habe mich nie geschlagen, auch nicht, wenn ich beleidigt wurde. Und frage mich: Hat er recht?
"Scheiß-Gymnasiasten!" war eine Beleidigung, mit der wir leben konnten. Fies war dagegen: "Ihr wollt immer nur reden!" Das bezog sich nicht auf Sex, sondern aufs Prügeln. Und war leider richtig.
"Fight Club" änderte nichts daran. Der Film arrangiere Kino, so hieß es in einem Magazin, das wir liebten, als "raffinierten Laborversuch, das männliche Ego aus dem Gebüsch zu holen, den Oberkörper frei zu machen, kingkongmässig auf die Brust zu poltern und den Urschrei auszustoßen. Die Dinge laufen lassen, was abkriegen." 1999 war das, und es ging das Gerücht um, in Folge des Films von David Fincher würden private Fight Clubs aus dem Boden schießen. Büroangestellte, hieß es, fühlten sich eine nachtlang als Helden. Oder sie fühlten zum ersten Mal sich selbst. Sie schafften es trotzdem nicht, das Prügeln in die Mitte der Gesellschaft zurück zu holen.
Knapp zehn Jahre später unternimmt ausgerechnet ein Pfarrer eben dies. "Schluss mit dem Gewalt-Tabu!" ruft Thomas Hartmann. Kinder sollten sich wieder prügeln dürfen. In geschütztem Rahmen und natürlich nur spielerisch. Aber trotzdem nicht mehr nur reden. "Zahlt es ihnen mit Liebe heim!", habe seine friedensbewegte Generation in den 70er- und 80er-Jahren gepredigt. Mit dem Resultat, dass Kinder ihre eigenen Kräfte (und die des Gegners) nicht mehr richtig einzuschätzen können. "Raufen, Toben und scheinbare Gewalttätigkeit, die mit dem ganzen Körper ausgelebt wird, zerschmettern Ängste und ringen die Furcht zu Boden", zitiert er den Autoren Gerard Jones.
Der Fight Club, dem ich in der Zwischenzeit beigetreten war, war das Gegenteil eines Fight Clubs, nämlich ein Fechtclub. Hier traf ich nicht den Seifenverkäufer Tyler Durden, sondern Frank Robertz. Frank wird nicht von Brad Pitt gespielt. Er trägt einen Schnauzbart und meistens ein kariertes Hemd. Er sagt nicht: "I want you to hit me as hard as you can!" Frank ist ein international gefragter Experte für Gewaltprävention.
Auf meine Frage, ob es ein anerkanntes psychisches Defizit sei, sich nie geprügelt zu haben, lacht er. "Nie gehört!" Aber es gebe durchaus das Problem der Aggressionshemmung. Dass man sich zu sehr zurück nimmt und sich beispielsweise nicht traut, eine Gehaltserhöhung zu fordern, die man für gerechtfertigt hält. Eine Art Ladehemmung beim Menschen. Das sollte man aber nicht mit Prügeln beheben, meint Frank.
Jungs haben kaum mehr Möglichkeiten, Männlichkeitsideale zu finden, sagt Fank. Sie werden von Lehrerinnen und alleinstehenden Müttern erzogen und sehen Mädchen, die immer stärker werden (dass ein Pfarrer die Reaktivierung des Prügelns wünscht, macht so gesehen Sinn: Kaum einer Institution missfällt die Vermischung der Geschlechterrollen so sehr wie der Kirche). Mit Ringen und Kämpfen mit Latexschwertern versuche man ihnen wieder mehr Körperlichkeit zu gestatten. Außerdem soll das gewaltpräventiv wirken.
Aber: Warum so kompliziert? Könnte man nicht einfach die Pausenhofordnung um ein paar Paragraphen erweitern, die besagen, wie man sich ordentlich prügelt? In "Fight Club" gab es Regeln, zum Beispiel: Wenn jemand "Stop!" ruft, ist der Kampf vorbei. Man hätte sie der Pausenhofordnung hinzufügen können. Ich hätte von ihr Gebrauch gemacht.
Frank ist anderer Meinung. Die Gewalt auf dem Schulhof sei emotional, nicht zielgerichtet. Sie passiere unter Stress und hält sich deshalb an keine Regeln. "Und es ist ein Hollywood-Mythos", sagt er, "dass es eine Gewalt gibt, die keinen Schaden anrichtet."
Es stimmt natürlich, was Frank sagt. Und trotzdem ist es rückblickend einfach peinlich, dass wir damals zur Verteidigung unserer gymnasialen Ehre den amerikanischen Austauschschüler vorausgeschickt haben. Ob er muskulös oder nur fett war, wussten wir nicht. Sicher war nur, dass die anderen es nicht herausfinden wollten.
Noch mehr Gewalt:
"Blut ist nicht wichtig"
- Spieleentwickler Faruk Yerli über seinen Ego-Shooter
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- "Killerspiele" verbieten? Dafür! Wenn wir danach über wichtige Dinge reden
Nach Hause
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5 /
2009
ZEIT ONLINE