Urheberrecht

Brr-Zzz-Verboten!

70200 Samples verwendet der Komponist Johannes Kreidler in seinem neuen Stück. Die muss er alle einzeln anmelden. Und fordert: das Urheberrecht muss sich ändern. Schnell.

Von Oskar Piegsa

"Watt? Wieviel??" Die Sachbearbeiterin schnappt nach Luft. "Ick verstehse doch richtig? Es jeht um dit Anmeldeformular?" Am anderen Ende der Leitung bleibt Johannes Kreidler ruhig. Und wiederholt: 70200 Formulare würde er gerne zugeschickt bekommen. Damit er sein neues Werk anmelden kann: Ein 33-Sekündiges Lied, in dem der Komponist 70200 einzeln meldepflichtige Samples verwendet.

Sein Telefonat mit der Bezirkdirektion Berlin der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), hat Johannes Kreidler auf Video mitgeschnitten. Er zeigt es auf seiner Homepage, als Teil der Kunstperformance Product Placements. Auch das Musikstück kann im Netz angehört werden. Die Aktion wird ihren Höhepunkt erreichen, wenn Kreidler am 12. September plangemäß mit einem Lastwagen bei der GEMA vorfährt. Dann will er die 70200 Formulare, von denen er sagt, dass sie jetzt noch in seiner Wohnung lagern, feierlich überreichen.

Mit diesem Papierkrieg streng nach Vorschrift will Kreidler die GEMA nicht lahm legen - sondern ein Umdenken erzwingen. "Ich bin gar nicht gegen die GEMA", sagt der Komponist. "Aber ich bin dafür, dass sich endlich mal was ändert und zwar schleunigst."

Die Aufgabe der GEMA ist es, Menschen wie Kreidler zu vertreten – Urheber, die Musik schaffen. Weil sie dafür entlohnt werden sollen, dass ihre Werke öffentlich aufgeführt und abgespielt werden, müssen alle Diskotheken, Cafés und Frisörsalons, die Musik spielen, Gebühren bezahlen, die sich unter anderem nach der Raumgröße berechnen. Die eingenommenen Gebühren verteilt die GEMA an ihre Mitglieder.

Was praktisch klingt, wird kompliziert, wenn DJs ihre Mixe nicht nur auflegen, sondern im Internet oder auf CD veröffentlichen wollen. Oder wenn Musiker wie Kreidler Stücke aus bestehenden Liedern in ihren eigenen Kompositionen verwenden – denn das muss gemeldet werden. Und kann richtig teuer werden.

Zum Beispiel: Wer einen DJ-Mix im Internet anbietet, muss dafür der GEMA pro Abruf rund 18 Cent zzgl. Mehrwertsteuer zahlen. Ab einer Gesamtlänge von fünf Minuten kommen anteilig 3,6 Cent pro Minute dazu. Es ist dabei egal, ob der DJ Profi oder Amateur ist, ob der Mix nur zum Anhören angeboten wird oder zum Dowload, und ob das Anhören etwas kostet oder nicht.

"Wir stehen in ständigem Kontakt zu mehreren Anwaltskanzleien, die nach illegalen Inhalten im Internet suchen und gegen illegale Anbieter rechtliche Maßnahmen durchsetzen", sagt Florian Jackwerth von der GEMA. "Rechtliche Maßnahmen", das bedeutet Unterlassungsklagen. Oder Schadensersatzforderungen.

Und: Zusätzlich zu den Gebühren muss nach deutschem Urheberrecht für jedes verwendete Sample die Einverständnis des ursprünglichen Schöpfers eingeholt werden. Wer einen Server im Ausland verwendet, kann die rechtliche Handhabe der GEMA erschweren – handelt aber immer noch illegal.

Es gibt einige Ausnahmeregeln: Urheberrecht und GEMA verfallen, wenn der Urheber seit mehr als 70 Jahren tot ist. Deshalb kann beim Konzert des Schulorchesters kostenfrei Mozart gespielt werden, aber auf der Abi-Party nicht Madonna.

Dass kreative Arbeit mit dem Urheberrecht kollidiert ist kein ausschließlich deutsches Phänomen - aber hier ist das Gesetz strenger als anderswo. In den USA ist Gregg Gillis zu einem Vorkämpfer der Rechte von Samplern und DJs geworden. Auch Gillis macht Musik, die nach Ansicht einiger Rechtsanwälte verboten gehört. Unter dem Pseudonym Girl Talk veröffentlicht er Mash-Ups: wilde Mixe, bei denen er zwei oder mehr bekannte Lieder zu einem neuen verschmilzt. Im Juni veröffentlichte er sein Album Feed The Animals auf der Internetseite Illegal Art, im kommenden Monat soll eine CD folgen. Über 300 Samples seien auf dem Album enthalten, schrieb die New York Times - die Erlaubnis hat sich Gillis für kein einziges eingeholt.

Gillis beruft sich bei seiner Arbeit auf die Klausel der "fairen Verwendung", die im amerikanischem Recht existiert und es zum Beispiel Kritikern, Journalisten oder Unterrichtenden erlaubt, Texte und Musik zu zitieren. Künstlerische Verwendung wird im Gesetzestext nicht erwähnt – iTunes hat das letzte Girl-Talk-Album deshalb wieder aus dem Programm genommen. Doch noch ist Gillis nicht verklagt worden.

Auch in Deutschland gebe es Kollegen, die Samples einfach verwenden ohne zu fragen, sagt Kreidler. Doch er will etwas anderes, sagt er: "Ich will provozieren." Während bei Girl Talk das Ursprungsmaterial trotz wilder Montage noch zu erkennen ist, klingt Kreidlers Product Placements nach einer halben Minute Rauschen, Blubbern, und Vorspulen. Aus dem Brr-Zzz-Krchz die 70200 Ursprungswerke zu erkennen, dürfte so gut wie unmöglich sein. Einen rechtlichen Unterschied macht das aber nicht.

"Kunstwerke gehören der Menschheit, so pathetisch das jetzt klingt", sagt Kreidler. "Wenn es immer noch so wäre, dass die Mozart-Erben den Daumen auf allen Werken von Mozart haben, dann wäre das ein großer Schaden für die Menschheit. Und im Musikantenstadl klingen auch alle Lieder gleich. Ich halte es für den Normalfall, das kreative Arbeit immer im Austausch stattfindet. Man sollte froh darüber sein."

Gleichzeitig betont er, dass er die GEMA nicht abschaffen will. "Ich will als Künstler für meine kreative Arbeit entlohnt werden", sagt Kreidler, der neben seiner künstlerischen Arbeit zum Broterwerb Musik unterrichtet. "Es muss auch zu Zeiten der Digitalen Revolution Möglichkeiten geben, Kreativität zu entlohnen. Deshalb spreche ich mich für die Kulturflatrate aus."

Eine Kulturflatrate könnte so ähnlich funktionieren, wie jetzt schon die Gebühren der besagten Diskotheken, Cafés und Frisörsalons. Dann würde jeder, der einen Internetzugang besitzt, Geld an die GEMA bezahlen – unabhängig ob er den Internetzugang dazu nutzt urheberrechtlich geschützte Musik zu laden, Pornos zu gucken oder E–Mails schreiben.

"Es ist jetzt schon so, dass man auf Kassetten, Videokasetten und Rohlinge, Abgaben zahlt, die denen zu gute kommen, die Kulturgüter schaffen, obwohl man auf der Kassette vielleicht nur sich selber aufnimmt", sagt Kreidler. "Insofern ist das ein konsequenter Schritt da noch weiter zu gehen."

Wichtig sei ihm vor allem eine Sache: "dass hier mal endlich eine Diskussion in der Öffentlichkeit in Gang kommt." Wenn man dafür in Deutschland 70.200 Formulare braucht, dann ist das eben so. Noch hat die GEMA keine offizielle Stellungnahme vorgelegt.

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35 / 2008
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