G8-Gipfel
Ein letztes Testspiel
Der G8-Gipfel heizt die deutschen Linken an wie vergangenes Jahr die WM die Fußballbegeisterung. Plötzlich interessieren sich viel mehr Menschen für Globalisierungskritik. Die Polizei sollte das nicht unterschätzen.
"Kritik = Terror" steht auf dem Transparent, das Demonstranten in den Abendhimmel des Hamburger Schanzenviertels halten. Es ragt zwischen Tausenden von Köpfen heraus, die sich in nur wenigen Stunden zu einer Demonstration gegen die Polizeieinsätze des Mittwochmorgens mobilisieren ließen - durch Aufrufe im Internet und Mundpropaganda. Autonome sind da, ganz in schwarz und teilweise vermummt. Doch unter den Protestierenden stehen auch viele, die vermutlich eben noch in der Universität saßen, in ihren Werbeagenturen oder einem der umliegenden Cafés. Jemand trägt eine Pappschachtel in der Hand: Sushi to go . In Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main, Rostock, Duisburg, Tübingen und anderen Städten finden an diesem Abend ähnliche Demonstrationen statt – nur mit wesentlich weniger Menschen als in Hamburg. Selbst vor der deutschen Botschaft in Nicaragua gab es Proteste.
Das ist die eigentliche Nachricht dieser Nacht, denn in Hamburg weiß man seit den Protesten gegen die Räumung eines Bauwagenplatzes im Herbst 2002, dass linke Mobilisierungen erst dann gefährlich sind, wenn die linksextreme Wucht sich mit bürgerlich-linksliberaler Empörung über zu harte polizeiliche Maßnahmen vermischt. Kann sich der schwarze Block hinter buhenden Galao-Trinkern verstecken, hilft kein Wasserwerfer mehr. Richten sich Demos nicht mehr gegen Staat und Kapital, sondern gegen Polizeigewalt und Gesinnungsschnüffelei, sind Linke und Linksliberale in Massen auf der Straße vereint.
Die Polizei hat mit den Durchsuchungen das letzte Testspiel vor der WM organisiert. Denn bei den Auseinandersetzungen des 9.Mai handelt es sich auch um eine Kraftprobe. Von beiden Seiten.
Die in Medien und Politik diskutierte Frage, ob die G8-Gegner gewaltbereit sind, geht dagegen am Kern vorbei. Ein kleiner Teil von ihnen ist es. Das wurde auch daran deutlich, dass sich keine der durchsuchten Gruppen und Einrichtungen von dem Vorwurf distanzierte, Gewalttaten geplant zu haben. Doch die Militanten allein werden gegen eine übermächtige Polizei nichts ausrichten können. Viel entscheidender ist: Werden sie es schaffen, Sympathien zu gewinnen? Werden Studenten, Werber und Azubis in Hamburg, Rostock und Berlin mitmarschieren? Mit der nicht ausgesprochenen, aber im Raum stehenden Bezeichnung der G8-Gegner als "Terroristen" haben Politik und Sicherheitskräfte für erstes verärgertes Löffel-Klimpern im Latte Macchiato gesorgt.
Der Demonstrationszug schlängelt sich durch die engen Straßen von St. Pauli, der schwarze Block vornweg, hinten die Neutralen. Der Zug beschallt die jeweiligen Demonstranten-Gruppen zielgruppengerecht: Vorn sind Demo-Evergreens zu hören, "Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt" und "Für mehr Staatszerschlagung", rufen sie. Hinten fährt ein Lautsprecherwagen, aus dem laute Drum'n'Bass Musik scheppert.
"Wir danken der Bundesanwaltschaft für diese Mobilisierungsaktion", sagt eine Frauenstimme später vom Dach der "Roten Flora", als der Zug friedlich an sein Ziel gelangt ist. Die Demo scheint sich aufzulösen. Doch dann gibt es einen lauten Knall. Ein Feuerwerkskörper explodiert hinter einem Bauzaun, Polizeitrupps stürmen in die Menge, Wasserwerfer rollen an. Polizisten wurden mit Flaschen und Gegenständen beworfen, meldet die Einsatzleitung der Polizei später, deswegen musste man reagieren. Vielleicht war die Reihenfolge auch umgekehrt, so genau kann das später niemand mehr sagen. "Wir sind immer sehr konsequent, das war nichts Besonderes", sagt eine Polizeisprecherin zwar. Doch es ist zu spüren, dass die Polizei dieses Mal härter und schneller vorgeht als bei früheren Demonstrationen.
"An alle Unbeteiligten: Distanzieren Sie sich von Straftätern. Entfernen Sie sich aus dem Einsatzbereich", knarrt der Lautsprecher auf dem Dach eines Einsatzwagens, doch zeitgleich wird der schmale Platz, der eigentlich eine Straße ist, an beiden Enden abgeriegelt. Auch "Unbeteiligte" dürfen die Absperrkette nicht durchqueren. Dann spritzt Wasser in die Menschenmenge und gegen die Schaufenster der Cafés, hinter denen Menschen beim Bier sitzen. "Ich verstehe nicht, was das hier soll", sagt einer, der vor einem Studentenklub direkt neben den Wasserwerfern steht.
Die Polizei setzt an diesem Abend auf Härte und Abschreckung. Auch bei den Sicherheitskräften wirkt offenbar der WM-Effekt: Auf keinen Fall soll sich die deutsche Polizei beim Gipfel durch Laxheit blamieren. Doch vielleicht erreichen solche Einsätze genau das Gegenteil: Die gefürchtete Mobilisierung der "Unbeteiligten".
"Haut ab", schallt es an diesem Abend noch lange von den Hauswänden des Schulterblatts zurück, rhythmisch und laut. Es sind nicht nur Autonome und Schwarzer Block. Es rufen alle. Das letzte Testspiel vor G8, die Polizei hat es nicht gewonnen.
99 /
2007
ZEIT ONLINE