US-Wahlen

Das Irrelevante-Nutte-Dilemma

Immer mehr Rapper mischen sich in den USA in den Wahlkampf ein. Barack Obama profitiert von dem Support - und leidet darunter.

Von Oskar Piegsa

Es klang ein bisschen gereizt: “Viele, viele Male” habe Barack Obama das doch nun schon gesagt, schrieb dessen Sprecher. Viele, viele Male, dass Rap-Texte zu oft “Frauenhass, Materialismus und erniedrigende Bilder” enthalten. Anlass war eine rhetorische Bombe, die der Präsidentschaftskandidat kürzlich abbekommen hat. Nicht von einem Gegner, sondern von einem Fan.

Der Rapper Ludacris hatte ein Lied veröffentlicht, in dem er zur Wahl von Barack Obama aufruft – und nebenbei George Bush als geistesgestört und Hillary Clinton als “irrelevante Nutte” bezeichnet. Obamas Wahlhelfer distanzierten sich schnell von dem “ungeheuerlich verletzenden” Text.

Dass HipHopper politische Positionen beziehen ist nichts neues. Ob NWA 1988 Fuck tha Police skandierten oder Public Enemy ein Jahr später Fight the Power – die Subkultur der sozialen Außenseiter war schon immer ausgesprochen meinungsfreudig. Und oppositionell. Dass Rapper aber Anschluss an das politische Establishment suchen ist neu – und ein potentielles Problem für Barack Obama.

Fünf politische Musikvideos aus 20 Jahren HipHop

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Immer mehr Akteure aus der schwarzen Musikszene haben sich in den vergangenen Monaten für den Demokraten ausgesprochen. Beyoncé und Jay-Z spendeten Geld für seine Kandidatur, der Rapper Common und Will.I.Am von den Black Eyed Peas warben für Obama. Und: Ludacris, mit dem Obama schon im November 2006 auf einem Termin zur Aidsbekämpfung gemeinsam auftrat.

Ludacris, bekannt durch Lieder mit Titeln wie Move Bitch oder Pimpin’ all over the World, befindet sich seit Jahren in einer öffentlichen Fehde mit dem mächtigen Talkshow-Host Bill O’Reilly und anderen konservativen Meinungsmachern. Obama, über dessen Präsidentschaftskandidatur Ende 2006 bereits spekuliert wurde, hielt damals schon vorsichtige Distanz zu dem Rapper:

Ludacris habe großes Talent und sei ein bedeutender Geschäftsmann, lobte Obama im Interview mit dem Musikmagazin Rolling Stone. Aber: “Es wäre gut, wenn ich meine Töchter das hören lassen könnte, ohne mich darüber sorgen zu müssen, dass sie dann ein schlechtes Selbstbild bekommen.”

Nicht nur für Promis, auch für Medien ist es in Amerika nicht ungewöhnlich, Wahlempfehlungen für Politiker abzugeben. Zu den ersten, die sich für Obama aussprachen, gehörte das HipHop-Magazin Vibe. Obama war der erste Politiker, den die Zeitschrift auf das Titelbild nahm. “Das ist überfällig”, schrieb Chefredakteurin Danyel Smith und plädierte für einen Wandel im politischen Verständnis der HipHop-Community.

“Es geht nicht darum, die Macht zu bekämpfen,” schrieb Danyel Smith, “es geht darum, die Macht zu finden – in uns selbst.” Nicht mehr “Fight the Power”, sondern “Yes, We Can”, wie es Obama formuliert. Der pflegt eine Rhetorik der Miteinanders, die sich gegen die polarisierenden Wahlkampagnen von George W. Bush wendet – aber auch gegen die oppositionelle Rhetorik des Raps.

Bereits mit der September-Ausgabe 2007 hatte sich Vibe hatte auf den Kandidaten festgelegt, Monate bevor zum Jahreswechsel die Vorwahlsaison begann. Zum Vergleich: das Rockmagazin Rolling Stone, dessen Redaktion traditionell der politischen Berichterstattung großen Stellenwert zukommen lässt, zog erst Ende März 2008 mit einer Wahlempfehlung für Obama nach. In einer blumigen Wahlempfehlung war dort die Rede vom “Ruf der Geschichte” – einige Monate zu spät, denn die meisten Amerikaner hatten bereits gewählt und Obamas Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokraten war so gut wie entschieden. Während Rock noch zauderte, war HipHop schon dabei.

Warum, das erklärt der Fachjournalist Jeff Chang in einem Podcast über seine Vibe-Titelgeschichte. In den knappen Präsidentschaftswahlen der vergangenen Jahre wurde neben Christen, Frauen, Vorstädtern und anderen Gruppen auch die “HipHop-Generation” als Wählerblock erkannt, die jungen Latein- und Afro-Amerikaner in den Großstädten des Landes.

Um sie zur Wahl zu mobilisieren, unterstützte Snoop Dogg 2004 die Kampagne Rock the Vote. P. Diddy forderte: Vote or Die!. “Wenn wir uns die letzten drei Wahlen anschauen, dann ist die Wählergruppe, die am meisten Einfluss hinzugewonnen, die der jungen Latein- und Afro-Amerikaner”, sagt Jeff Chang. Politikverdrossenheit? Nein. Aber erst mit Barack Obama sei ein Kandidat gekommen, von dem sich die Szene verstanden fühlt: “Das ist sehr neu.”

Doch die Nähe zur HipHop-Szene ist auch ein potentielles Problem. Ein einziger Satz kann eine Präsidentschaftskandidatur zerstören, wenn er vom Nachrichtenfernsehen und Kommentatoren aufgegriffen und oft genug wiederholt wird. Und HipHop nimmt kein Blatt vor den Mund.

Keiner weiß das so gut wie Barack Obama, der bereits früh dafür kritisiert wurde, dass Jay-Zs 99 Problems auf seinen Wahlkampfveranstaltung lief – ein Lied, in dem auch das Wort “Nutte” fällt. Obama nahm den Song aus dem Programm und spielte auf späteren Veranstaltungen die gleiche Musik, wie fast alle anderen Demokraten-Kandidaten auch: Patriotische Country-Songs von John Mellencamp, zum Beispiel. Dass Mellencamp auch die Wahl von Barack Obama empfiehlt, ist für den Kandidaten wesentlich unkontroverser, als das Bekenntnis von Ludacris.

Auch Hillary Clinton bekam Unterstützung aus der HipHop-Industrie. Und auch für sie wurde das einmal zum Problem. Robert L. Johnson, Gründer des Fernsehsenders Black Entertainment Television, ging für Clinton zur Vorwahl in South Carolina auf Wählerfang, wo Afro-Amerikaner einen bedeutenden Teil der Demokraten-Wählerschaft ausmachen – und wo ein Wahlsieg Barack Obamas zu befürchten war. Johnson versuchte, Stimmung für Obama zu machen.

Fünf politische Musikvideos aus 20 Jahren HipHop

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“Während Bill und Hillary Clinton emotional eng mit schwarzen Anliegen verbunden waren, war Obama in seinem Viertel und hat Sachen gemacht”, sagte er, “ich werde nicht sagen, was für Sachen, aber er schreibt darüber in seinem Buch.” Johnson spielte auf Obamas Beichte an, in jungen Jahren gekifft zu haben.

Clinton kämpft für die Schwarzen, Obama sitzt apathisch mit seinen Jungs rum und dröhnt sich zu - der Diss hatte gesessen. Und Johnson sich reichlich im Ton vergriffen. Immerhin sind die Vorwahlen ein Wettbewerb zwischen Parteifreunden, in dem es darum geht, wer die gemeinsamen Interessen besser vertritt – und nicht darum, die anderen Kandidaten bloß zu stellen und persönlich zu diskreditieren. Es war der letzte Wahlkampfauftritt von Robert L. Johnson.

Troy Nkrumah glaubt nicht an eine gemeinsame Zukunft aus schamlosen Rappern und statusbedachten Mainstream-Politikern. “Langfristig wird sich HipHop vom Mainstream wieder mehr entfernen”, sagt er im Zuender-Interview. Troy Nkrumah ist der Vorsitzende der National HipHop Political Conference, für die Anfang des Monats nach eigenen Angaben rund 1000 HipHop-Aktivisten nach Las Vegas kamen. Er engagiert sich für eine erneute Radikalisierung der HipHop-Kultur und beklagt, dass Obama nach rechts rückt, seit er seine Nominierung gesichtert hat.

Das ist zwar ein typisches Verhalten für Präsidentschaftskandidaten, da sich an Vorwahlen traditionell die ideologischeren Parteiaktiven beteiligen, während es bei den Präsidentschaftswahlen um die Gunst des ganzen amerikanischen Volkes geht. Aber Obama, der von politischem Wandel und der eigenen Unkorrumpierbarkeit sprach, enttäuscht nicht nur Nkrumah.

Während der Mainstream des HipHop-Geschäfts die Nähe zu den großen Parteien sucht, spricht Nkrumah lieber von radikaleren Bands: Dead Prez, The Coup oder Immortal Technique. Geht es nach ihm, bleibt HipHop eine Kraft der Opposition. Solange, bis es zu einem grundlegenderen Wandel kommt, als dem, den Obama verspricht. Solange, bis Eingeständnisse an konservative Meinungsmacher wie Bill O’Reilly nicht mehr gemacht werden müssen: “Fight the Power.”

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33 / 2008
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