Film

Habe Rucksack, suche Sinn

Scharenweise packen junge Westler ihren Rucksack, um in Asien das große Abenteuer zu erleben. Meistens sind sie am Ende aber nur mit sich selbst beschäftigt. Der Film Hotel Very Welcome von Sonja Heiss fragt ohne falsche Romantik nach dem Sinn der Sinnsuche.


Von Stefanie Büther

Zwei Engländer stehen im thailändischen Dschungel und starren ratlos auf eine Felswand, an der ein dünner Wasserstrahl heruntertropft. Da stapft man stundenlang durch den Busch, schwitzt sich die Seele aus dem Leib und dann das: "This is the shittiest waterfall I have ever seen in my whole life." Treffender hätte man kaum beschreiben können, was alle über das Reisen ahnen: Irgendetwas findet man immer, nur nicht unbedingt das, was man sucht.

Irgendwie auf der Suche sind alle Reisenden in Hotel Very Welcome – dem Film, den Regisseurin Sonja Heiss gerade auf der Berlinale vorgestellt hat. Sie suchen einen Anschlussflug, die ultimative Party, Wasserfälle oder sich selbst. Mit einem feinen Sinn für Situationskomik und liebevollem Blick für abwegige Details beschreibt der Film in fünf Episoden die Erlebnisse von fünf Backpackern in Asien.

Die Idee, einen Film über Rucksacktouristen zu machen, kam der Regisseurin auf einer eigenen Reise: "Wir waren mit dem Rucksack in Indonesien unterwegs und haben uns gefragt, warum es darüber eigentlich keinen Film gibt." Wer jetzt an Hochglanzbilder thailändischer Inseln denkt, wie man sie aus der Verfilmung von Danny Boyles Roman The Beach kennt, wird schnell eines Besseren belehrt: " The Beach war Business-Class", wird noch vor der Premiere verkündet. Hotel Very Welcome will echtere Bilder zeigen.

Den Anspruch erfüllt Sonja Heiss’ Film tatsächlich, er fängt die berüchtigte Spezies der Asien-Reisenden so ein, wie sie wirklich durch Bombay oder Bangkok streunt. Da ist Liam aus Schottland, der bis tief in die indische Wüste reist, um ein Problem zu vergessen, das auch nach seiner Rückkehr auf ihn warten wird. Die Engländer Josh und Adam dagegen wollen in Thailand nur ein bisschen Spaß haben – zwischen Vollmond-Raves und Dschungelspaziergängen lernen sie sich allerdings besser kennen, als ihnen lieb ist. Marion ist aus der Enge ihrer heimischen Beziehung in ein indisches Meditationscenter geflüchtet, wo die Erlösung auf sich warten lässt. Und Svenja wollte eigentlich längst woanders sein, hat aber in Bangkok ihren Anschlussflug verpasst.

"Es gibt viele Gründe, aus denen man reisen kann", erzählt die Regisseurin: "Manchmal verreise ich, weil ich müde bin und weg will, und manchmal, weil ich denke, ich fühle mich woanders besser. Die Grundidee von Reisen ist eigentlich, dass man irgendwo anders Dinge wahrnimmt, die man mitnimmt für sein Leben. Aber oft ist man dann doch nur mit sich selbst beschäftigt."

Vier Monate war Sonja Heiss in Indien und Thailand unterwegs, um ihren Film zu drehen. Mit Rucksack und kleinem Budget durchlebte das Team eine Asien-Reise mit allen Schwierigkeiten: Hitze, Verständigungsprobleme, Durchfall. Wohl gerade deshalb wirkt Hotel Very Welcome nie romantisch verklärt: Die Figuren irren durch eine fremde Welt, verschanzen sich in der Masse anderer Traveller oder verlassen gleich gar nicht mehr ihr Hotelzimmer. So wie Svenja, die bei ihrem Versuch, einen neuen Flug zu buchen, grandios scheitert. Sie führt absurd komische Telefonate mit einem thailändischen Reisebüroangestellten, trotz Sprachbarriere entsteht eine zarte Beziehung, die fast an Liebe erinnert.

Darstellerin Svenja Steinfelder meistert die aberwitzigen Szenen mit bravourösem Ernst: Nie entgleisen ihre Gesichtszüge, während sie ihr englisch-thailändisches Kauderwelsch wie ein surreales Gedicht vorträgt. Über ihre Vorbereitung sagt sie: "Diesen Singsang adaptiert man ganz schnell. Es geht nicht darum, falsches Englisch zu sprechen. Aber wenn man das mit dieser Melodie macht und die Rs weglässt, verstehen die Leute einen einfach besser. Irgendwann habe ich nur noch so gesprochen. Auch, wenn ich mir mein Club-Sandwich bestellt habe."

Bei aller Komik driftet Sonja Heiss jedoch nie ab in jene Geste der Borniertheit, die bei Filmen wie Lost in Translation einen unangenehmen Nachgeschmack erzeugt. Sie nimmt auch ihre Randfiguren ernst, egal, wie gut oder schlecht ihr Englisch ist. "Die Einheimischen sind im Grunde so drauf, wie Leute gerne werden wollen, wenn sie nach Asien reisen: geerdet und entspannt", findet Heiss.

Die merkwürdigen Gestalten sind in Hotel Very Welcome bisweilen eher die Reisenden. Wie Marion, die mit spirituellen Gruppenerlebnissen in Indien zu sich selbst finden will. Barfuss wippt sie sich durch den Nachmittagstanz, hört in sich hinein und singt den Mach-dich-glücklich-Song: "And I fall in love with myself again." Trotz aller Bemühungen hat ihre Sinnsuche jedoch nur mäßigen Erfolg. Kein Wunder, findet Regisseurin Sonja Heiss: "Viele verreisen, um über irgendetwas nachzudenken. Dabei geht das eigentlich gar nicht. Die Realität zu Hause verändert sich ja dadurch, dass du weg bist; und plötzlich merkst du, dass du sie gar nicht mehr einschätzen kannst. Oder du willst plötzlich wieder etwas, was du zu Hause eigentlich gar nicht mehr wolltest."

Die Fremdheit zwischen den Kulturen zu überwinden, gelingt letztlich nur Svenja und dem Mann im Reisebüro. Trotz Sprachproblemen entfaltet ihre Telefonbeziehung nach und nach eine anrührende Romantik. Ihr Abschied wird schließlich zur schönsten Liebeserklärung, die zwei völlig Fremde einander machen können: "Please, hold the line." – "Forever?" – "Yes, forever."

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09 / 2007
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