Gewalt-Debatte

“Blut ist nicht wichtig“

Ego-Shooter verursachen Gewalt, sagt Stoiber. Der Spielentwickler Faruk Yerli sieht das anders. Ein Gespräch - eine Woche nach Emsdetten

Fragen von Carsten Görig

Faruk Yerli hat zusammen mit seinen beiden Brüdern Cevat und Avni das Entwicklerstudio Crytek gegründet. Nach dem Erfolg des Taktik-Shooters Far Cry ist Crytek auch in der internationalen Entwicklerszene bekannt. Im nächsten Jahr soll Crysis erscheinen – die Fangemeinde wartet ungeduldig.

Woran haben sie nach dem Amoklauf in Emsdetten als erstes gedacht?

Jetzt geht das ganze Theater wieder los. Wir waren schon länger besorgt, dass so etwas wie in Erfurt wieder passieren und die Suche nach den Ursachen wieder zu den Spielen führen würde. Wir haben uns gefragt, wie schnell es diesmal die Runde machen wird.

Ist es nicht etwas zynisch, wenn man da als Spielentwickler zuerst an seine eigene Position denkt?

Es ist schrecklich, wenn ein 18-Jähriger Amok läuft. Wir sind schockiert davon. Aber hier sind wir auch auf andere Weise betroffen. Denn obwohl noch niemand weiß, was die Motive für diesen Amoklauf waren, werden die Ursachen sofort wieder in den so genannten Killerspielen gesucht. Wobei niemand von denen, die diesen Begriff verwenden, zu wissen scheint, wovon er spricht.
Die Motive erfährt man meist nicht, weil der Täter sich umbringt. Deshalb kann spekuliert werden. Ohne die Motive richtig zu hinterfragen oder zu erforschen, wird rasterartig das Freizeitverhalten durchleuchtet. Wenn der Täter ein Spieler war, wird prompt auf Computer- oder Killerspiele hingewiesen. Das klingt gut und sorgt für Schlagzeilen.

Was halten sie von dem Begriff „Killerspiele“?

Ich finde ihn scheußlich. Wäre ich sechzig, hätte keine Ahnung und würde das Wort im Fernsehen hören, würde ich denken, dass das ganz schlimm sein muss. Ich habe den Eindruck, dass diese Bezeichnung bewusst gewählt wurde, um abzuschrecken und gleichzeitig Schlagzeilen zu machen.

Stellen sie denn „Killerspiele“ her?

Was verstehen Sie darunter? Anscheinend nicht das Gleiche wie ich. Die Bezeichnung ist absolut unpassend für das, was wir tun. Wir machen Actionspiele und legen sehr viel Wert auf eine gute Geschichte. Es geht darum, Missionen zu erfüllen und Gefechte zu überleben. Die Mission heißt nicht: Töte alles, was sich bewegt, sondern: Löse dieses Rätsel, auch, indem du jemanden eliminierst, etwas in die Luft sprengst oder ähnliches. Wir sagen aber auch: Taktik geht vor Gewalt.
Natürlich fordert der Markt Action von uns. Das ist beim Film nicht anders. Herr der Ringe war nicht nur wegen der epischen Geschichte, sondern auch wegen der Actionszenen erfolgreich.

Warum muss man Gewalt so realistisch darstellen? Warum verwendet man die technischen Möglichkeiten nicht darauf, realistisch Blümchen zu pflücken?

Das will niemand. Jeder will ein Held sein. Das geht doch schon mit vier Jahren beim Fasching los: Da sehen sie nur Zorros, Supermänner oder Indianer. Jedes zweite Kind hat eine Waffe in der Hand.
Viele Jugendliche möchten Held sein. Im Spiel bekommt er die Möglichkeit dazu. Ich glaube kaum, dass jemand stolz darauf sein wird, beim Blumenpflücken erfolgreich zu sein und einen Orden zu bekommen.

Halten Sie es für ausgeschlossen, dass Spiele einen Anteil an so einer Tat wie in Emsdetten haben?

Spiele sind für einen gesunden Menschen keine Gefahr - natürlich nur im richtigen Maß. Da sind auch die Eltern gefragt. Wenn ich einem zwölfjährigen Jungen ein Spiel gebe, das ab 18 Jahren freigegeben ist, dann kann es schon sein, dass er dadurch kurzzeitig beeinflusst wird. Um das auszuschließen, müssten Eltern prüfen, was ihre Kinder am PC machen.
Wenn ich einen Zwölfjährigen in einen Horrorfilm für Erwachsene schicke, dann kann er bestimmt eine Woche lang vor Angst nicht im Dunkeln schlafen. Das hat aber nichts mit Spielen oder Filmen zu tun, sondern mit dem Alter. Und dafür gibt es die Altersfreigaben.
Alle seriösen Wissenschaftler sind sich einig, dass es keinen monokausalen Zusammenhang zwischen Computerspielen und aktiver Gewalt gibt.

Ihr letztes Spiel Far Cry war erst ab 18 freigegeben. Was halten Sie von dieser Altersgrenze?

Wenn die Freigabestelle meint, dass das Spiel für Jüngere nicht geeignet ist, dann akzeptieren wir das. Wobei das Spiel in anderen Ländern Europas ab 16, in den USA ab 17 freigegeben war. Für Deutschland haben wir es entschärft und haben trotzdem nur diese diese Freigabe bekommen. Der einzige Grund dafür war die Physik des Spiels, die Tatsache, dass ein Körper so fällt, wie er es in Wirklichkeit tun würde und sich nicht wie in anderen Spielen auflöst. Für Crysis werden wir uns mit der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) zusammensetzen und eine Version für den deutschen Markt entwickeln, die hier verkauft werden darf.

Es ist also nicht das Blut?

Nein, und eigentlich könnten wir als Entwickler ganz auf das Blut verzichten. Es fügt dem Spiel nichts hinzu außer Feedback: Der Spieler weiß dadurch, dass er getroffen hat. Zu einem kompletten Paket gehört es dennoch dazu.

Verliert man als Entwickler nicht irgendwann die Lust, in Deutschland zu bleiben?

Wir sind gerade aus dem bayerischen Coburg nach Frankfurt gezogen. Einen Umzug ins Ausland planen wir nicht – solange es die politischen Umstände nicht erfordern. Wir hätten aber kein Problem damit, Deutschland zu verlassen. Siebzig Prozent unserer 140 Mitarbeiter stammen aus dem Ausland, die würden bestimmt mitkommen. Wir könnten innerhalb von drei Monaten weg sein.
Man darf das Wachstumspotenzial der interaktiven Unterhaltungsindustrie nicht unterschätzen. Ein Verbot der Entwicklung und des Vertriebs von Computerspielen wäre so ziemlich der größte Fehler, den man machen könnte. Deutschland würde den Anschluss verlieren. Außerdem würde ein Verbot sowieso nicht funktionieren. Die Spiele lassen sich problemlos über das Internet beziehen.
Ich bin gegen Spiele, in denen brutales Morden oder Gewalt verherrlichende Elemente im Vordergrund stehen. Gleichzeitig muss aber jeder, der über Achtzehn ist, selbst entscheiden können, was er spielen möchte.

Was war das Interessanteste, das sie in Zusammenhang mit Far Cry erlebt haben?

Es gibt einen Bericht von einem Fan, der das Spiel bis zur Hälfte durchgespielt hat, ohne jemanden zu töten. Der ist einfach nur durchgeschlichen. Das finde ich toll, denn es zeigt, dass es tatsächlich nicht auf Gewalt ankommt, sondern auf Köpfchen.

Auch wichtig:

Verbietet sie doch endlich! - Ein ernst gemeinter Vorschlag von Carsten Lißmann

Hat das Wort "Killerspiel" erfunden - Günther Beckstein (CSU) im Interview

Drüber reden? - Dieser Artikel wird hier im Forum diskutiert

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

32 / 2006
ZEIT ONLINE