Kolumne
Selbstgespräche
Es ist kein Brot mehr da, ich müßte noch in die Bäckerei. Und meine Mutter anrufen. Ob in der Bäckerei wieder diese Bedienung mit den dunklen Augen ist? Die würde ich ja gerne mal in ihren privaten Klamotten sehen. Was das für wohl für eine ist? Die sieht sich bestimmt jedes Wochenende einen nichtssagenden Film in einem Mulitplex an. Die kann ja auch nichts dafür, daß ich ihre Augen schön finde. Was ist denn das? Ein grünes Handtuch, mitten auf der Straße. Wie kommt das denn dahin? Wer verliert denn Handtücher? Und wie? Fallen die aus der Tasche? Stimmt, hört man ja dann nicht. Ob derjenige wohl zurückfährt, wenn er zuhause bemerkt? Eher nicht, schätze ich mal.
Selbstgespräche, wir führen den ganzen Tag Selbstgespräche, die nicht aufhören. Entweder wandern die Gedanken gerade ziellos von diesem zu jenem, die kaum nachvollziehbaren Assoziationen nehmen einfach kein Ende.
Oder man nimmt irgend etwas wahr und benennt die Dinge im Kopf und versucht sie irgendwo einzuordnen. Aha, das kenne ich von da, das habe ich schon mal hier gesehen, das ist interessant, das habe ich noch nie gehört.
Ein Selbstgespräch, das morgens nach dem Aufwachen anfängt und nur selten unterbrochen wird, bis man wieder einschläft. Ist wohl bei jedem so. Man denkt nicht nur, wenn man es braucht, man denkt die ganze Zeit und führt eine Art Zwiegespräch mit sich.
Aber manche reden laut. Und die findet man komisch. In der Schule läßt man sie allein auf dem Schulhof stehen, auf der Arbeit schaut man sie befremdet an und bemitleidet sie möglicherweise heimlich. Man hält sich von ihnen fern, weil man glaubt, jemand müsste ihnen mal ein paar Tassen in den Schrank stellen.
Wir führen alle Selbstgespräche, aber wehe, jemand tut es laut, dann ist er gleich ein Kandidat für die Klapse und wir wissen, daß er fürchterlich einsam sein muß. Während die Gründe für die eigenen Dialog mit sich selbst ganz woanders liegen.
Ich jedenfalls bin froh, daß es jetzt diese Headsets gibt und ich ganz in Ruhe laut vor mich hinreden kann und niemand mich seltsam ansieht. Es sei denn, er weiß zufällig, daß ich kein Mobiltelefon besitze.
Auch wichtig:
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- Die meisten Menschen, die ich auf Konzerten treffe, geben mir nichts.
Drüber reden?
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99 /
2007
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