Bildung
Wenn die Besten kleben
Frau Klose kam mit Bastelscheren und Klebstoff in den Klassenraum. Wir, die Elite des Landes und fast volljährig, schnitten Blätter aus. Ein Glück – wir hatten es bis aufs Gymnasium geschafft
Bis ich das Fach endlich abwählte durfte, erzählte unser Lateinlehrer uns immer, wir würden zur Elite dieses Landes gehören. Etwas, das mir damals schon nicht einleuchten wollte. Ich war in einem diskriminierenden System mehr oder weniger zufällig auf einem Gymnasium gelandet. Und selbst dort wurden wir oft genug so behandelt, als seien wir nicht ernst zu nehmen.
Als ich schon in der Jahrgangsstufe 12 war und einige unter uns bereits volljährig, kam eines Tages meine Biolehrerin Frau Klose mit kopierten Blättern in den Klassenraum. Außerdem hatte sie für jeden eine Bastelschere und Kleber mitgebracht.
Auf den Blättern waren mehrere Bilder, die verschiedenen Stadien des Photosynthese-Zyklusses grafisch darstellten. Wir sollten nun die Bilder ausschneiden und in der richtigen Reihenfolge kreisförmig auf unserem Heft anordnen.
Frau Klose schärfte uns ein: Legen, nicht kleben.
Denn wenn man erst man falsch geklebt hatte, gab es ja kein zurück mehr. Unsere Lehrerin ging dann durch die Reihen und kontrollierte, ob wir richtig gelegt hatten.
Zwei oder dreimal, als Frau Klose im Begriff war, die Bilder eines Mitschülers in meiner unmittelbaren Nähe zu kontrollieren, machte ich mir einen Spaß daraus kräftig in diese Richtung zu pusten und die Bildchen flogen durcheinander.
Selim, du benimmst dich wie im Kindergarten, bekam ich zu hören.
Dahin hatte die strenge soziale Auslese also geführt: Da kommt jemand in eine Jahrgangsstufe 12, hat Schere und Kleber mitgebracht und macht eine lustige Bastelstunde. Und wenn ich mich dementsprechend benehme, dann kann man das als Kindergarten abqualifizieren. Doch darum geht es gar nicht.
Wenn wir als angebliche Elite schon so behandelt wurden, wie musste es da erst den anderen ergehen?
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- Zuender. Das Netzmagazin
13 /
2007
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