Religion
Buddhismus für Buddhisten
Sie machen sich nichts aus irdischen Gütern, leben das Leben viel intensiver und haben überhaupt alles durchschaut? Glaube ich nicht
Es gibt ja viele Leute, die ihr Heil in östlichen Philosophien suchen, da wir im Westen uns angeblich uns selbst entfremdet haben und am Wesentlichen vorbeileben. Wir können uns nicht konzentrieren und erliegen den Ablenkungen unserer Konsumwelt und den zahlreichen Sinnesreizen und Versprechungen, die auf uns einstürmen. Dabei könnte das Glück ja so einfach sein: Schlaf, wenn du schläfst, iss, wenn du isst und pfeif nicht beim pissen, sagen die Buddhisten. Versuch in der Sache aufzugehen, die du gerade tust, lass dich nicht ablenken und renne nicht irdischen Gütern und Genüssen hinterher, die am Ende doch nur Leid verursachen.
Als ich in Bodhgaya war, wo Buddha unter dem Bodhi-Baum meditierend Erleuchtung erlangt haben soll, habe ich viele Buddhisten aus den verschiedensten östlichen Ländern gesehen. Und aufgehört zu glauben, wir im Westen hätten etwas vergessen, das diese Leute noch tagtäglich praktizieren.
In einem Lokal setzte sich ein buddhistischer Mönch neben uns, bestellte, schlang sein Essen in zwei Minuten vierzig runter, bezahlte und ging. Iss, wenn du isst?
Einige meditierten in der Nähe des Bodhibaums, allerdings unter Moskitonetzen, um nicht von Fliegen gestört zu werden. Einer wollte sich unbedingt mit meiner Freundin fotografieren lassen. Ein weiterer telefonierte gerade mit seinem Mobiltelefon, während er sich die Zehennägel schnitt.
Und offensichtlich können sie noch so lange darüber meditieren, dass der menschliche Körper mit Schleim und Fäkalien angefüllt ist, sobald eine schöne Frau die Straße entlanggeht, verdrehen sie die Köpfe.
Grundsätzlich glaube ich ja schon, dass in diesen östlichen Lehren mehr Wahrheit über die menschliche Natur zu entdecken ist, als wir hier im Angebot haben. Aber darüber vergisst man so leicht, dass die Anhänger dieser Lehren auch nur Menschen sind.
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48 /
2006
ZEIT online