Quelltext
Teufelszeug
Nichts hilft so gut gegen Winter-Depressionen wir ein ordentlicher Horror-Roman. Meine Dosis Grusel hole ich mir aus Rosemary’s Baby
Unsichtbare Hände kommen aus dem Buch, greifen nach mir, ziehen mich zwischen die Seiten – ich tauche ab in seine Welt: Wenn ein Buch es schafft, dass Lesen sich so anfühlt, dann stellt es mich vollkommen zufrieden. Es sei denn, ich bin traurig, bin irgendwie down, und will meine Stimmung wieder heben. Dann brauche ich von einem Buch noch mehr als diese unsichtbaren Hände – dann muss die Welt, in die es mich zieht, eine böse sein. So böse wie Rosemary’s Baby von Ira Levin : Mein heißer Tipp gegen Attacken von Depressivität.
Ab und zu habe ich diese sumpfigen Verstimmungen, vor allem im Winter. Dann hilft nichts so gut wie das Gruseln, denn Traurigkeit ist ja wie ein gefühltes Minus. Setzt man diesem eine weiteres negatives Gefühl wie zum Beispiel Angst entgegen, heben sich die Gefühle in ihrer Destruktivität gegenseitig auf: Minus und Minus ergibt zusammen wieder Plus – man fühlt sich automatisch besser. Und diesen Kick, den klassischen Katalysatoreffekt, hole ich mir am verlässlichsten aus Horror-Büchern.
Ich erinnere mich an jenen grauen Sonntag im November, als es vor meinem Fenster und in meiner Seele regnete. Ich war auf der Suche nach einem Weg aus dem Tief. In meinem Bücherregal wurde ich fündig und ließ mich in den Roman von Ira Levin fallen, ein Werk, das ich irgendwann geschenkt bekam und lange Zeit achtlos verstauben ließ. Was für ein Fehler! Rosemary’s Baby erzählt die Geschichte des frisch verheirateten New Yorker Paars Rosemary und Guy Woodhouse, die in das berüchtigte Bramford-Apartmenthaus ziehen, um hier ihr Familiennest zu bauen. Merkwürdige Dinge passierten schon im Bramford, ungewöhnlich oft kamen Menschen zu Tode in dieser unheimlichen Villa mit den langen, dunklen Fluren. Auch die Nachbarn sind seltsam, vor allem das ältere Ehepaar Minnie und Roman Castevet, das neben den Woodhouses wohnt. Mehrstimmige, monotone Gesänge dringen nachts durch die Wände, als würden die Castevets Messen feiern. Tagsüber begegnen sie den beiden Neuankömmlingen freundlich, sind jedoch eine Spur zu neugierig und fürsorglich. Besonders Guy, ein erfolgloser Jungschauspieler, ist davon anfangs schwer genervt.
Ein Anstands-Abendessen bei den Castevets ändert seine Meinung: Gebannt hängt Guy an den Lippen des geheimnisvollen Roman, der ihm alte Theater-Geschichten erzählt. Rosemary ahnt nichts Böses, als sie später für den Abwasch mit Minnie in die Küche geht und Guy mit Roman alleine im Wohnzimmer zurücklässt. Sie kann nicht ahnen, dass die Castevets Satanisten sind und Roman ihrem Mann gerade einen Pakt mit dem Teufel vorschlägt: Wenn er es zulässt, dass Rosemary von Luzifer persönlich geschwängert wird, verspricht er Guy Ruhm im Rampenlicht. Guy schlägt ein, hinter Rosemarys Rücken.
Bei einem Dinner zu zweit, das angeblich als romantisches Vorspiel dienen soll, um ein gemeinsames Baby zu zeugen, wird er Rosemary mit einer schlafmitteldurchtränkten Mousse au Chocolat von Minnie Castevet betäuben, damit der Teufel sie anschließend ungestört nehmen kann.
Der Plan geht auf, Rosemary verfällt in tiefen Schlaf und hat den seltsamsten Traum ihres Lebens: Ein animalisches Wesen mit gelben Augen treibt es mit ihr, grob, dominant, heftig. Rosemary fühlt sich abgestoßen und angezogen zugleich; als sie am nächsten Morgen erwacht, erzählt Guy, er habe mit ihr geschlafen während sie bewusstlos war, er habe es nicht abwarten können, Vater zu werden. Kurz darauf ist Rosemary schwanger, doch was jetzt beginnt, ist der blanke Horror. Schließlich steht ihr nicht irgendeine Niederkunft bevor: Sie trägt den Sohn des Teufels in sich, den die Satanisten-Sekte um Minnie und Roman Castevet als neuen Erlöser auf die Erde holen will.
Zugegeben, die Geschichte klingt nach seichtem Hokuspokus, und das Buch wäre sicher auch ein solcher geworden – hätte es nicht Ira Levin geschrieben. Der amerikanische Autor angelt nicht nach Effekten, sondern erzählt mit einer subtilen Lakonie, die die Geschichte absolut glaubwürdig wirken lässt. Es steckt voller schauerlich schöner Bilder: Dem Buch scheint der stechende Geruch zu strömen, der von diesem rätselhaften Amulett ausgeht, das Minnie Castevet ihrer unwissenden Nachbarin als angeblichen Glücksbringer für die Schwangerschaft schenkt. Auch meint man, das grünliche Gebräu zu schmecken, das Rosemary täglich auf Minnies Anweisung zum Wohle der werdenden Mutter trinken soll. Man kann ihr Leid über die unsagbaren Schmerzen nachvollziehen, unter denen sie sich windet, weil in ihrem Bauch kein menschliches Wesen wächst. Dazu diese Atmosphäre, dieses verschlingende, murmelnde, verschwörerische Flair des ganzen Romans, die Hilflosigkeit Rosemarys, die fühlt, das etwas nicht in Ordnung ist, aber bis zum Ende unwissend bleibt. Und wir, atemlos, wie wir von Seite zu Seite hasten...
Oh ja, ich fühlte mich besser an jenem November-Nachmittag, nachdem ich
Rosemary’s Baby
in nur wenigen Stunden durchgelesen hatte. Wohlig räkelte ich mich in dieser Angst, die meine schlechte Laune wie erwartet linderte. Als ich das Buch zuklappte, hatte es aufgehört zu regnen, nicht nur vor meinem Fenster. Das sollte ja wohl mit dem Teufel zugehen.
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49 /
2006
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