Kitsch
Dalí ist mein Gartenzwerg
Kitsch ist dumm und hässlich? Stimmt gar nicht, glaubt Stefanie Lohaus. Diese Woche ein gutes Wort für Gartenzwerge und Hirschgeweihe
Kitsch ist Bildungsbürgern oder Menschen, die sich dafür halten, ein Gräuel: Gartenzwerge und Heimatfilme, Zinnkrugsammlungen und Wanduhren in Hasenform, das alles sollte vom Erdboden oder zumindest aus ihrem Sichtfeld verschwinden. Kitsch ist Kleinbürgertum und Verdummung der Massen. Kunst ist es ganz sicher nicht.
Einige Theoretiker sehen in Kitsch nicht nur ein Zeichen schlechten Geschmacks, sondern gleich eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft. Schon
Theodor W. Adorno
verachtete Kitsch und schrieb dagegen an. Standardisierte Massenkultur war für ihn die systematische Verarschung der Massen.
Heißt das jetzt, wir sollten nur noch klassischer Musik lauschen, am Wochenende die neue Kunstausstellung besuchen und danach ab ins Theater? Hört sich anstrengend an. Ist es auch. Und dabei ganz und gar unnötig. Denn das Argument der snobistischen Bildungsbürger, Kitsch sei dumm, billig und beschämend, ist auf Sand gebaut.
Zunächst einmal kann Hochkultur mindestens genauso kitschig sein wie blinkende Hirschgeweihe und Hula-Tänzerinnen. Wer einmal Goethes
Die Leiden des jungen Werthers
gelesen hat, weiß wovon ich spreche. Der junge Werther ist unsterblich verliebt in Lotte, die seine Liebe nicht erwidert und stattdessen ihren Verlobten Albert heiratet. Daraufhin bringt sich Werther in einer dramatischen Schlussszene mit Alberts Pistolen um. Dieser Roman ist eines der wichtigsten Werke des
Sturm und Drang
. In ihm stehen Sätze wie: "... Erinnerst du dich der Blumen, die du mir schicktest, als du in jener fatalen Gesellschaft mir kein Wort sagen, keine Hand reichen konntest? O, ich habe die halbe Nacht davor gekniet, und sie versiegelten mir deine Liebe ..." Werther wurde von damaligen Teenagern so abgefeiert wie heute Boybands. Wen wundert’s? Heute darf er in keiner bürgerlichen Schrankwand fehlen.
Dann Richard Wagner: Deutscher Heldenepos trifft auf bombastische Klangtürme. Der Künstler und Kurator Peter Weibel hat es mal so gesagt: Wagners Opern sind "grandioser Kitsch für die gebildeten Stände und Wagner selbst ein Freddy Mercury von Gnaden für die musikalische Hochkultur."
Von der bildenden Kunst erst gar nicht zu reden. Zum Beispiel Salvador Dalis surrealistischen Traumbilder.
Zerfließende Uhren!
Schwebende Tiger, die auf einen liegenden Akt
zuspringen
! Ein weiteres zeitgenössisches Beispiel sind die knallbunten, matronenhafen Skulpturen von
Niki de Saint-Phalle
, die hierzulande gerne zur Verschönerung trister Fußgängerzonen eingesetzt werden.
Ist Kitsch – oder das, was auf den ersten Blick dafür gehalten wird – dümmer oder schlechter als Goethe, Wagner und Dali? Nicht unbedingt. Die Fernsehserie
Buffy – Im Bann der Dämonen
zum Beispiel. Die Handlung: Ein hübsches Teenagermädchen ist die auserwählte Vampirjägerin, die die Welt vor Vampiren und Dämonen retten muss. Wer jetzt schon ausschaltet und
Buffy
für hirnlosen Trash hält, verpasst mehrdeutigen Humor und Wortwitz, intelligenten Anspielungen auf zahlreiche Werke der Hoch- und Populärkultur und ein Format, das die Regeln des Genres Fernsehserie völlig auf den Kopf gestellt hat.
Kitsch gibt es für jede soziale Schicht, jede Altersklasse und jeden Geschmack. Kitsch findet man dort, wo man ihn nicht vermutet. Und was auf den ersten Blick als Kitsch erscheint, muss keiner sein. Kitsch zu verachten oder sich dafür zu schämen, dass er einem gefällt, ist Blödsinn. Jeder braucht und liebt irgendeine Art von sentimentalem, niedlichem oder trashigem Kram. Es lebe der Kitsch.
Ich mag das laienhaft gemalte Acrylbild eines Hobbykünstlers, das ich für fünfzig Cent auf dem Flohmarkt gekauft habe. Es hängt über meinem Bett und zeigt zwei Schwäne, die auf überaus hellblauem Wasser unter einem blühenden Baum schwimmen. Mein Freund mag Heavy-Metal-T-Shirts, die martialische Splatterszenen darstellen. Andere mögen Taschen mit DDR-Ampelmännchen.
Also, liebe Kitschhasser: Bevor ihr das nächste Mal über Omas gehäkelte Klorollenüberzüge lästert, geht lieber mit euch selbst ins Gericht. Und sucht tief in eurem Herzen nach dem Kitsch, der euch entzückt.
Auch schön:
Vergangene Woche
- Nico Semsrott plädiert fürs Nichtstun
Drüber reden?
- Die Plädoyers werden hier im Forum diskutiert
Nach Hause
- Zuender. Das Netzmagazin
17 /
2007
ZEIT online