Schönheit
Aus alt mach neu
Brauchen wir plastische Chirurgie? Ich habe Brigitte Nielsen getroffen und staunte, wie gut ihre Mimik immer noch erkennbar ist.
Zugegeben, das heitere Plastikhupenraten am Strand war eine willkommene Auflockerung des Sonnenbadens, meine Freundin und ich dachten teilweise, wir würden RTL gucken. Andererseits: Schön oder gar sexy war das in den meisten Fällen nicht, was sich uns da bot. Der Schwerkraft trotzende Granithügel, Donnatella-Versace-mäßige Maskengesichter oder Chiara-Ohoven-artige Wurstlippen sind keine direkten Nachkommen des Lehmklumpens, aus dem der Liebe Gott den Menschen formte.
Unweigerlich musste ich bei diesen sich mir bietenden Anblicken an eine Begegnung denken, die ich kurz vor meinem Urlaub hatte - und zwar mit Brigitte Nielsen.
Nicht erst seit ihrer bei RTL öffentlich durchgeführten Renovierung mit dem Titel ´Aus alt mach neu´ gilt sie als der Prototyp einer Frau, die, zumindest optisch, nicht altern will. Was in ihrem Fall einigermaßen nachvollziehbar ist, denn seit Anbeginn ihrer Karriere ist ihr Körper ihr Kapital, erst als Model, später dann als, nun ja, Schauspielerin und auch jetzt als Reality-Doku-Großbaustelle. Und da sie es bis dato nicht geschafft hat, sich als Charakterdarstellerin, Popstar (auch da gab es ja zaghafte Versuche) oder sonst was einen Namen zu machen, bleibt ihr nicht viel mehr übrig, als ihre Hülle so lange wie möglich erwerbsfähig zu erhalten. Das mag jetzt so manch einem tragisch erscheinen, Brigitte selbst sieht das natürlich anders, sie pflegt da eine sehr pragmatische Herangehensweise. "Ich habe mich im Spiegel betrachtet und fand mich nicht mehr schön, also habe ich mir gedacht, dass ich das ändern muss", sagt sie. Eine kleine zusätzliche Herausforderung stellte dabei noch ihr Ansinnen dar, es mit 45 ein zweites Mal aufs Cover des ´Playboy´ zu schaffen - das erste Mal war vor 20 Jahren.
Brigitte Nielsen hat (immer noch) das Auftreten eines Stars. Das liegt zum einen an ihrer durchaus imposanten Erscheinung - sie ist 1,85 Meter groß, trägt in der Regel High Heels, dazu ist sie von kräftig-muskulöser Statur, bei unserer Begegnung offerierte sie wenig überraschend auch einen tiefen Einblick in ihr beeindruckendes Dekolletee. Zum anderen ist sie aber auch sehr freundlich, charmant und verbindlich - oder anders: hochprofessionell.
Im Schlepptau hatte sie ihren Manager sowie ihren Ehemann, den 15 Jahre jüngeren, 15 Zentimeter kleineren und ungleich weniger schillernden Italiener Mattia Dessi. Dem Vernehmen nach kümmert der sich um die Haushaltseinkünfte, was unterm Strich bedeutet: Brigitte Nielsen macht nichts umsonst - kein Interview, kein Foto, niente. Um den Beweis zu erbringen, dass er ein bisschen die Hosen anhat und durchaus imstande ist, im Schatten seiner berühmten Gattin etwas Zählbares anzuleiern, erweist er sich als äußerst zäher und knorriger Verhandlungspartner. Scheinbar sind die beiden sehr glücklich miteinander, denn Brigitte sprach davon, dass sie gerne ein Kind von ihm hätte. Was man medial inklusive Live-Geburt auch ganz gut verwerten könnte, aber das ist jetzt nur eine böse Mutmaßung meinerseits.
Auf den ersten und auch den zweiten Blick sind ihre OPs ganz gut gelungen. Im Gesicht ist immer noch deutlich eine Mimik erkennbar, und auch sonst wirkt das Resultat einigermaßen natürlich. Was ihrer Meinung nach auch den deutschen Ärzten zu verdanken ist, die anders als die Kollegen in den USA, bei denen alle Frauen nach OPs gleich aussehen, Wert darauf legen, nicht zu offensichtlich herum zu metzgern. Wobei die Tatsache, dass Brigitte die Operationen gewiss nicht selbst zahlen musste und darüber hinaus noch mediale Aufmerksamkeit bekam, sicherlich ein gewichtigeres Argument dafür waren, sich in Deutschland unters Messer zu begeben.
In der Sendung, ´TRL XXL´, sprach Brigitte sehr offen über alles - außer Dieter Bohlen, der sich in seinem Buch eine sexuelle Begegnung mit der Nielsen zusammenphantasiert hatte und dafür von ihr mit einem "dummer Idiot und Lügner" sowie einem Schreiben ihres Anwalts geadelt wurde. Da lässt es sich über Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger, mit denen sie tatsächlich was hatte, oder den lässigen Falco, mit dem sie ein Musikvideo gemacht hat, doch weitaus leichter parlieren.
Auch ihre schauspielerischen Fähigkeiten sieht sie ganz realistisch. Sie nimmt es mit Humor, als Auszeichnung dafür bis jetzt nur mit der ´Goldenen Himbeere´ bedacht worden zu sein und sieht ihre Darstellung als ´Schwarze Hexe´ in der Fantasy-Märchen-Serie ´Prinzessin Fantaghiro´ durchaus als eine ihrer stärksten Rollen an. Kein Wunder, denn da war das affektierte Overacting auch ein wichtiger Bestandteil ihrer Figur.
Derzeit ist Brigitte Nielsen in der MTV-Reality-Doku ´Celebrity Rehab´ zu sehen, eine Serie, die vor der RTL-Geschichte gedreht wurde. Auch bei ihrem Alkohol-Entzug hat sie sich also filmen lassen. Als wir einen Ausschnitt daraus zeigen, brechen bei ihr kurz die Dämme, sie fängt an zu weinen, als sie die mutmaßlichen Auslöser ihrer Alkoholsucht - einen Gehirntumor bei einem ihrer Söhne und den gleichzeitigen Niedergang ihrer Ehe - thematisiert.
Auf die Frage, warum sie zwei so private Dinge wie eine Schönheits-OP und einen Entzug nicht im stillen Kämmerlein, sondern in aller Öffentlichkeit abwickelte, sagt sie, dass sie mit ´Aus alt mach neu´ und ´Celebrity Rehab´ Tabus brechen wollte, weil es das noch nie vorher gab, dass Stars sich von Kameras bei derlei Dingen begleiten ließen. "Alle machen es heimlich, ich stehe dazu", meinte sie.
Dennoch: Brigitte Nielsen mag zwar jetzt einen runderneuerten Körper haben und auch trocken sein, und doch gibt auch sie zwischen den Zeilen zu, dass das Mitwirken in derlei Fernsehshows einem anderen Defizit der Protagonisten ganz und gar nicht zuträglich ist, nämlich der nahezu krankhaften Sucht nach Aufmerksamkeit. Insofern haben solche Sendungen natürlich negativ betrachtet etwas Heuchlerisches. Aus professioneller Sicht sind sie allerdings Ausdruck der Suche nach dem perfekten, ultrarealistischen Reality-Format. Tatsächlich dürfte es kaum möglich gewesen sein, für ´Celebrity Rehab´ so etwas wie ein Drehbuch oder gar geskriptete Dialoge zu entwickeln.
Brigitte war mir sympathisch, letzten Endes ist sie auch nur ein Mädchen, das recht früh aus ihrem kleinen dänischen Dorf in die Welt hinaus zog, um Anerkennung, Fame und die große Liebe zu finden.
Zwischendurch fiel mir eine Begegnung ein, die ich beim Roskilde Festival 1998 mit einem ebenfalls dänischen Mädchen hatte. Ums kurz zu machen: Wir landeten zusammen in einem Hotelzimmer, und als sie ihren BH öffnete, waren darunter zwei enorme Plastikhupen. Ich tippte eine von ihnen verstohlen mit dem Finger an und beschloss dann, Angst vor ihnen zu haben und die sexuellen Handlungen zu beenden. Bis heute habe ich diese Problematik durch genaueres Hinsehen erfolgreich umschifft.
Doch am Ende der Sendung kam ich ihr wieder überraschend nah. Bei der Verabschiedung erhoben sich Brigitte und ich. Ich bin exakt so klein wie Mattia. Sie umarmte mich herzlich. Ihr ahnt, wo sich mein Kopf befand.
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2008
ZEIT ONLINE