Berühmtsein

Holt mich hier raus

Neulich wollte ich bei H&M eine Hose kaufen. Nun existieren zwanzig Bilder von mir in Socken, auf denen Elftklässler den Arm um mich legen.

Die Kolumne von Markus Kavka

Mann, war ich froh, dass mein Bekannter so lange mit mir telefoniert hat. Mit angstgeweiteten Augen sah ich die Mädchen auf mich zustürmen. Es müssen an die 50 gewesen sein, alle so zwischen 12 und 18 Jahre alt. Viele von ihnen sahen so ähnlich aus wie Bill Kaulitz. Einige zückten schon im Lauf ihre Handys und machten die Kamera scharf, andere zogen ein Büchlein und einen Stift hervor. Ich Depp hätte es wissen müssen. Es war der Tag, an dem in München die MTV Europe Music Awards stattfanden. Auch Tokio Hotel traten dort auf. So gesehen war es also keine gute Idee, am frühen Nachmittag alleine am Veranstaltungsort vorbei zu schlendern. Aber was sollte ich machen? Ich musste in unser Produktionsbüro, und die Olympiahalle lag nun mal auf dem Weg dorthin. Das zwanzigminütige Telefonat verhinderte das Schlimmste, schließlich war ich ja nicht ansprechbar.

Meistens schaffe ich es, derartigen Situationen aus dem Weg zu gehen. Wenn mir am Hackeschen Markt in Berlin eine Schulklasse auf Wandertag entgegen kommt, wechsle ich die Straßenseite. Einkaufszentren, H&M und andere Orte, an denen Jugendliche sich versammeln, meide ich – es sei denn, meine Freundin ist dabei und schirmt mich ab.

Jetzt mache ich diesen Beruf schon so lange, aber ich werde es wohl nie schaffen, mich daran zu gewöhnen, erkannt, fotografiert und nach Autogrammen gefragt zu werden. Sobald ich meine eigenen vier Wände verlasse, überkommt mich sofort dieses Gefühl der Unfreiheit. An schlechten Tagen bin ich regelrecht paranoid und denke, dass alle mich beobachten. Und wir reden jetzt ja nicht von Thomas Gottschalk, sondern nur von einem kleinen, C- bis D-prominenten MTV-Fuzzi. Was aber nichts an der Sache ändert, zumal gerade die Zielgruppe, die ich anspreche, keinerlei Scheu oder Distanz an den Tag legt. Ich versuche immer wieder aufs Neue, es als Kompliment zu begreifen, wenn jemand auf einem Foto mit mir sein will oder meine Unterschrift möchte. Am Ende empfinde ich es doch stets als Belastung, als etwas, das mich auszehrt.

"Dann haste den falschen Job, Alter!", werden viele jetzt richtiger Weise einwerfen. Zu meiner Entlastung: Ich bin da irgendwie so reingerutscht in dieses Fernsehding. Eigentlich war/bin ich ja Musikredakteur, und dieser Beschäftigung in den Formaten Radio oder Print nachzugehen, machte mir auch großen Spaß. Eines Tages sagte dann jemand: "Versuch das doch mal vor ´ner Kamera!". Das hat mir auch direkt Freude bereitet, und da meine ersten (Sparten-)Sendungen im VIVA-Nachtprogramm bzw. später bei VIVA ZWEI weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit über den Schirm gingen, konnte ich jahrelang unbehelligt umherstreifen. Wenn mich Zuschauer ansprachen, dann ging es meistens um Inhalte, sprich Musik, und da unterhalte ich mich gerne drüber.

Ich dachte mir auch anno 2000 nichts weiter dabei, zu MTV zu wechseln, merkte dann aber recht bald, dass das eine ganz andere Baustelle ist. Seit über sieben Jahren bin ich nun nahezu täglich auf dem Kanal zu sehen, und da meine Hauptsendung, die MTV News, alles andere als ein Spartenmagazin ist, werde ich nun von weitaus mehr Menschen wahrgenommen. Vor etwa vier Jahren hatte ich mal einen großen Durchhänger, in dessen Zuge ich mir überlegte, das Ganze hinzuschmeißen. Der Spaß an meinem Job überwog dann allerdings, ich musste also irgendwie versuchen, mit dem Verlust meiner Privatsphäre klar zu kommen.

Es sind die kleinen Dinge im Alltag, die das Ganze manchmal so absurd erscheinen lassen. Neulich hatte ich mich beispielsweise mal wieder dazu durchgerungen, bei H&M einzukaufen. Es waren neue Socken, T-Shirts und Unterhosen fällig. Ich entdeckte dann noch eine Jeans, die ich schnell anprobieren wollte. Als ich aus der Umkleide kam, um draußen vor einem größeren Spiegel zu gucken, wie das Beinkleid saß, stand da eine komplette Schulklasse mit Fotohandys im Anschlag. Es existieren nun also zwanzig Bilder von mir in Socken, mit einer zu langen, schlecht sitzenden Hose, auf denen Elftklässler den Arm um mich legen.

Oder letzte Woche, bei Rossmann an der Kasse. Nur dieser eine Satz: "Guck mal, der Kavka kauft Klopapier!" Oder bei Karstadt: "Schau mal, der MTV-Typ kauft Champagner. Typisch!" War nicht für mich, ich bekomme nämlich von dem Gesöff Sodbrennen. Aber das konnte der Kommentator ja nicht wissen. Oder letztes Wochenende in Stuttgart: Ich hab da bei einer MTV-Veranstaltung aufgelegt und am Ende nur noch bunte Punkte gesehen, weil heutzutage jeder seine Digicam mit Megablitz dabei hat. Die Leute, die es gut meinen, zeigen mir dann immer den gerade getätigten Schnappschuss. Früher hab ich manchmal noch darum gebeten, ein weiteres Bild zu machen, vielleicht eins, auf dem ich die Augen nicht nur halboffen habe. Mittlerweile ist es mir egal, wobei ich mir trotzdem nicht ausmalen will, wie viele Fotos von mir existieren, die mich total durchgerockt um 6 Uhr morgens in einem Club zeigen. Andererseits: Ist ja nur menschlich. Dennoch kann ich in so einem Fall nicht wie viele andere sagen: Macht nichts, mich kennt ja keiner. Dabei stimmt das eigentlich. Aber sobald man im Fernsehen ist, denken die Leute, sie würden einen kennen und alles machen dürfen, was man mit einem Bekannten eben so macht, also anfassen, in den Arm nehmen, küssen, zutexten, das volle Programm eben. Da stehe ich aber genau so wenig drauf wie vorm Club in der Schlange von ganz hinten nach vorne gewunken zu werden, oder beim Italiener einen Grappa aufs Haus zu bekommen, während die Gäste am Nebentisch leer ausgehen.

Manche meiner Kollegen brauchen Szenarien wie die gerade beschriebenen regelrecht, das ist so etwas wie ein Lebenselixier für sie. Für mich ist es eher Gift. Gut, dass alles so schnelllebig geworden ist. So wird sich spätestens ein Jahr nach meiner letzten Sendung keine Sau mehr daran erinnern, dass ich jemals im Fernsehen war, keiner wird mich mehr erkennen.

Aber so lange ich so viel Freude an meinem eigentlichen Tun habe, fallen die negativen Begleiterscheinungen zumindest an guten Tagen gar nicht so sehr ins Gewicht.

Klopapier kann man ja mittlerweile auch online bestellen.

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48 / 2007
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