ÜBERWACHUNG

STASI 2.0 - die Jugendedition

Wenn wir Eier geklaut haben, hat sich der Bauer mit einem Wachhund gewehrt. Heute werden Halbstarke mit RFID-Chips überwacht. Ist etwa Krieg?

Die Kolumne von Markus Kavka

Als ich 17 war, wurden Jugendliche noch analog überwacht. Ohne technische Sperenzchen. Dinge wie Stacheldraht, Elektrozaun, Wachhund, selbsternannte Blockwarte oder mistgabelbewehrte Bauern konnten zwar auch unangenehm werden, allerdings wusste man da ganz genau, wie man dran ist. Das war ehrlich. Der Konflikt Halbstarke versus Erwachsene hatte somit eine sportliche Komponente.

Wenn wir damals den Forellenzuchtweiher leer fischen wollten, dann mussten wir vorher den Stacheldraht beseitigen, um die Einzäunung überwinden zu können. Wenn wir Kühe umschmeißen wollten, mussten wir vorher den Elektrozaun vom Netz nehmen. Wenn wir beim Bauer Eier klauen wollten, mussten wir ein Leckerli für den Wachhund dabei haben (es war zugegebenermaßen ein sehr alter, dummer und harmloser Hund). Wenn wir in der Schulturnhalle Handball spielen wollten, mussten wir durchs geöffnete Kippfenster einsteigen. Wenn wir Mais, Kartoffel oder Zuckerrüben vom Acker klauen wollten, mussten Leute Schmiere stehen. Man konnte alles machen. Kameraüberwachung gab es nirgends, wir hatten auch keinen Chip unter die Haut gepflanzt bekommen, und so etwas wie fiesfrequente Teenager-Vertreibungsmaschinen gab es noch nicht mal bei Orwell.

Am Alfsee in Niedersachsen gibt es jetzt ein derartiges Gerät. Die dortige Wasserskianlage geriet nachts zu einem Treffpunkt für Jugendliche - Saufgelage und Randale inklusive. Der Besitzer hatte genug. Statt teurem Wachpersonal brachte er den "Mosquito Ultrasonic" zum Einsatz - laut Produktbeschreibung ein "System zum Zerstreuen von Ansammlungen Jugendlicher". Das ist ein kleiner grauer Kasten, der ein bisschen wie ein Außenlautsprecher aussieht. Statt launiger Durchsagen oder lustiger Musik dringen aus ihm jedoch sehr laute Piepstöne im Frequenzbereich zwischen 16 und 18 Kilohertz, was dazu führt, dass alle Jugendlichen im Umkreis von 20 Metern das Weite suchen. Warum nur die? Die Fähigkeit, derart hochfrequente Töne zu hören, lässt mit dem Alter nach. Spätestens ab 25 nimmt man sie nicht mehr wahr.

Zukünftig darf man dieses Gerät wahrscheinlich an allen Bahnhöfen, Bushaltestellen, Dorfplätzen, Schulen, Baustellen, Supermarkteingängen, Parkplätzen, Tankstellen, Spielplätzen, Bauernhöfen und Forellenzuchtweihern bewundern - wo sie eben immer so rumlungern, die Scheißjugendlichen. Dass das Ganze durchaus als ein Akt der Gewalt anzusehen ist, stört die Befürworter dieser Praxis wenig. Immerhin haben ein paar pfiffige Schüler den Spieß bereits umgedreht, indem sie sich den Mosquito-Fieper als Klingelton runtergeladen haben. So kann das Handy dann auch während des Unterrichts eingeschaltet bleiben, weil die alten Lehrer-Säcke das Signal nicht hören.

Wenn wir schon bei hohen Frequenzen sind: In England testet man gerade den Nutzen von in die Schuluniform eingepflanzten RFID-Chips, also Transpondern, mittels derer man den Träger nicht nur lokalisieren, sondern im gleichen Zug auch Daten übertragen kann. Man vermag den Schüler also zu identifizieren, auch seine Noten, Verweise, Beurteilungen und so weiter sind vermerkt. Technisch ist es sogar möglich, ihm den Zugang zu bestimmten Bereichen zu verwehren, dem Klo zum Beispiel, wenn man mal ganz gemein sein will. Noch ist die Teilnahme an diesem Projekt freiwillig, aber wenn der Schäuble hierzulande davon Wind bekommt, gibt´s statt Schluckimpfung in der Vorschule vielleicht schon bald die RFID-Implantation.

Wenn es um die Kontrolle unkontrollierbarer Kontrollbedürftiger geht, finde ich folgende Hightech-Angelegenheit wesentlich sinnvoller, nicht nur, weil bei ihr weder Schmerzen entstehen noch der Datenschutz verletzt wird: Das "Piss-Screen". Hierbei handelt es sich eigentlich um ein ganz normales Autorennspiel, das allerdings mit dem männlichen Urinstrahl statt mit einem Joystick (ja ja, schon gut...) gelenkt wird. Der Spaß wird derzeit im Pariser Nachtleben getestet, und zwar mit dem Ziel, die Zahl derjenigen Clubber zu reduzieren, die betrunken Auto fahren. Denn je besoffener man ist, desto mehr versagt man beim Piss-Screen. Durch verminderte Reaktionsfähigkeit ausgelöste Leitplankenhobeleien sowie durch motorische Störungen verursachte derbe Urinstrahlwackler werden durch die Sensoren im Pissbecken registriert, es kommt unweigerlich zum Crash. Statt der Highscoretabelle erscheint die Nummer der Taxizentrale auf dem Bildschirm. Gute Sache, wenngleich ich auch ziemlich gespannt auf ihre Umsetzung in der Damentoilette bin.

Abgesehen von dieser putzig-nützlichen Idee verfolge ich mit Argwohn, wie man zunehmend mit jungen Menschen umgeht. Obwohl ich es damals für einen grausamen Moment hielt, bin ich im Nachhinein richtig froh, dass ich auf der Flucht vorm Bauern strauchelte und in einem Kuhfladen landete.

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44 / 2007
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