Markus Kavka

Musik und ich

In den letzten zwanzig Jahren gab es immer Musik, die mich begeistert hat. Heute aber finde ich irgendwie nichts mehr. Geht es euch auch so?

Die Kolumne von Markus Kavka

Ich habe mir zu meinem 40. Geburtstag einen iPod gewünscht. Und weil ich ja schon recht alt bin und in den vielen Jahren meines Daseins einige Platten angehäuft habe, sollte es auch gleich der ganz große mit 80 GB sein, damit möglichst viel drauf passt.

Jetzt, drei Monate später, bin ich bei 1023 Songs und bekomme das Ding ums Verrecken nicht voller. Wenn ich das jetzt mal so grob überreiße, befinden sich auf den von mir gehorteten Tonträgern etwa 50.000 Tracks, aber offensichtlich finde ich davon nur jeden fünfzigsten (noch) gut, und selbst bei denen ist es schon so, dass ich im Shuffle-Modus bei mindestens der Hälfte der Stücke genervt weiter drücke.

Sehr ernüchternd, das, aber ein eindeutiger Beleg dafür, dass ich mich zunehmend schwer damit tue, Musik zu finden, die mich berührt, begeistert, bewegt. Musik, die ich nicht einfach nur höre, weil sie okay ist und weil sie ein bisschen so klingt wie andere Sachen, die ich gut finde, sondern mich inspiriert und glücklich macht.

Musik war immer eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben. Mit zehn kaufte ich mir meine erste Platte, und seitdem war der Gang zum Laden stets aufregend und besonders. Selbst die Tatsache, dass ich seit über zwanzig Jahren Musikjournalist bin, vermochte nicht, mir dieses Vergnügen madig zu machen. Klar wurde man gerade in den 90ern, als es den Plattenfirmen noch so richtig gut ging, mit Promo-CDs zugeschissen, aber trotz des übergroßen Inputs nahm ich nie davon Abstand, mir Musik, die mir etwas gibt, sofern erhältlich, auf Vinyl zuzulegen und lieb zu haben.

Und ich habe immer etwas gefunden, das neu und aufregend und anders war. Mich auf einen Stil festzulegen, war nie mein Ding. Ich habe zudem Musik seit jeher als Kunst im Fluss begriffen, weswegen es grundsätzlich ausfiel, in vermeintlicher Ermangelung spannender neuer Acts auf alten Kram aus den 80ern zurück zu greifen, jener musikalischen Epoche, die mich gewiss am meisten prägte.

Es machte Spaß, alles zu hören, natürlich über die Jahre mit wechselnden Schwerpunkten, aber jetzt, anno 2007, habe ich keine Lust mehr, alles zu hören, weil ich kaum mehr etwas so richtig mag. Sollte ich tatsächlich zu viel Musik aufgesaugt haben? Sind meine Ohren zugesuppt? Kann ja eigentlich nicht sein, dass es keine coolen neuen Sachen mehr gibt. Oder bin ich einfach zu doof, sie zu entdecken? Helft mir doch mal, ihr pfiffigen Leser. Ich sag euch, was ich in den letzten 30 Jahren gut fand, und ihr sagt mir, was ich heute und morgen gut finde.

* 1977
Erste selbstgekaufte Platte, ´Dancing Queen´ von Abba. Es folgt die Zeit, in der ich, na ja, so etwas wie Abba-Fan bin und mir drei Alben von ihnen zulege. Mein Wunsch, Agnetha würde mich zum Mann machen, bleibt unerfüllt.

* 1978-1979
Ein bisschen Charts, ein bisschen Disco, ein bisschen Sex Pistols, weil die Älteren im Dorf die mögen, parallel entsteht meine erste Faszination für elektronische Klangerzeugung. Ich lege mir fast alles von Jean Michel Jarre und Kraftwerk zu.

* 1980-1982
Von da ist es nicht mehr weit zum Synthiepop, der ersten Musikrichtung, die mich richtig begeistert und bei der ich das Gefühl habe, dass sie nur für mich erfunden wurde. Visage, Ultravox, Soft Cell, OMD, Blancmange, Heaven17, Human League, Cabaret Voltaire und natürlich Depeche Mode (übrigens die einzige Band, die ich ohne Unterlass während der letzten 25 Jahre gehört habe) sind meine Helden. ´Blue Monday´ von New Order ist eine musikalische Offenbarung.

* 1983-1986
Es wird zunehmend düsterer. The Cure werden zu meiner Lieblingsband, um sie scharen sich andere Mollmeister wie Joy Division, Bauhaus, Christian Death, Dead Can Dance, Cocteau Twins, Sisters Of Mercy, Siouxsie and The Banshees, Cassandra Complex, Red Lorry Yello Lorry, Alien Sex Fiend, Killing Joke, Fields Of The Nephilim, auch den EBM- und Industrialkram von Bands wie Front 242, Trisomie 21, Skinny Puppy, Psyche, Nitzer Ebb, Einstürzende Neubauten, In The Nursery, Laibach oder SPK höre ich gern, dazu, wenn gelächelt werden soll, britischen Pop von Prefab Sprout, Pet Shop Boys, Talk Talk und Tears For Fears.

* 1987-1988
Meine Begeisterung für elektronische und/oder düstere Musik lässt nach, stattdessen muss es krachen. Sonic Youth, Swans, Killdozer, Big Black und andere amerikanische Lärmspezialisten sind meine neue Leidenschaft. Wenn ich zwischendurch mal Lust auf Melodie habe, sind es in erster Linie New Order, The Smiths, The Jesus And Mary Chain, The Cult, Spacemen 3, My Bloody Valentine und die Pixies.

* 1989-1993
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, regieren jetzt endgültig Gitarren. Ich entdecke Slayer für mich und lande davon ausgehend schnell bei Napalm Death, Carcass, Autopsy und dem ganzen anderen Grindcore-Gemetzel. Für die softeren Stunden gibt´s Grunge von Mudhoney, Soundgarden, Nirvana, Pearl Jam, Screaming Trees und Alice In Chains, auch Hardcore von Prong, No Means No, Fugazi, Black Flag etc. oder Crossover von Bands wie Faith No More, Red Hot Chili Peppers und Biohazard sind ein Thema, dazu ein bisschen HipHop von Public Enemy, De La Soul, N.W.A. und Cypress Hill sowie Brit-Rave von Charlatans, Primal Scream, Happy Mondays und Stone Roses. Aus Gründen der Allgemeinbildung beschäftige ich mich außerdem mit Urvätern wie den Beatles, Led Zeppelin, Black Sabbath, Neil Young und The Doors. Zwischendurch verirre ich mich auf erste Techno-Raves, verstehe das Ganze aber noch nicht.

* 1994-1997
Die Britpop-, TripHop- und Drum´n´Bass-Jahre, oder anders: England! In dieser Zeit erscheinen ein paar meiner Lieblingsalben. Platten, die ich heute noch regelmäßig höre, u.a. ´Urban Hymns´ von The Verve, ´OK Computer´ von Radiohead, ´(What´s The Story) Morning Glory? von Oasis, ´Everything Must Go´ von den Manic Street Preachers, ´Ladies and Gentlemen We´re Floating In Space´ von Spiritualized, ´Dummy´ von Portishead und ´Blue Lines´ von Massive Attack. Aufenthalte in Clubs kommen einem Zirkeltraining gleich, da ich den Ehrgeiz entwickle, bei Drum´n´Bass auf den Beat und nicht auf die Bassline zu tanzen. Am besten finde ich die düsteren Sachen von No-U-Turn und Metalheadz. Musik, die nicht dein Freund sein will und deswegen umso mehr Spaß macht.

* 1998-2006
Die Minimal-Techno-Jahre, garniert mit einigen wenigen handverlesenen Gitarrenstücken. Drum´n´Bass ging so schnell, wie er kam und wird zügig abgelöst von der 4/4-Bassdrum, was sicherlich begünstigt wird durch meinen Umzug von München nach Köln, der damaligen Minimal-Hauptstadt. Ich hänge jeden Freitag bei ´Total Confusion´, dem Partyabend der Kompakt-Blase im Studio 672 rum und lass auch sonst kaum eine Techno-Party aus. Ich merke, wie mir Gitarrenmusik offenbar 20 Jahre lang die Gehörgänge verschlackt hat und sehne mich nach auf das Nötigste reduzierter Musik. Ich mag auch keine Vocals mehr, weil ich es nicht mehr ertrage, ständig was vorgesungen zu bekommen. Stattdessen genieße ich es, die minimalen Musikfragmente selbst mit Bildern, Interpretationen und Geschichten anzureichern. Pro Monat schafft es im Schnitt nur noch eine Gitarrenplatte, mich umzuhauen. Die jeweils ersten Alben von The Strokes, Maximo Park, Kaiser Chiefs, The Killers, Bloc Party, Editors, Feist, Arctic Monkeys, Franz Ferdinand, Interpol usw. finde ich bombe, die Nachfolger schocken alle schon nicht mehr so richtig. Da halte ich es dann doch eher mit Hot Chip, Junior Boys, Erlend Oye, Zoot Woman, Air, The Streets, Chemical Brothers, Underworld, Boards Of Canada und anderem Electronic Listening-Zeugs oder verlässlichen Helden wie Nick Cave, Johnny Cash, Blumfeld, Tocotronic, Mazzy Star und Depeche Mode.

* 2007
Ich möchte nicht soweit gehen und sagen, dass sogar Minimal Techno mich langsam langweilt, aber irgendwann geht´s einfach nicht noch minimaler, weswegen jetzt auch mal wieder gerne Chords, Flächen, Melodien und sogar vereinzelte Vocals in den Tracks auftauchen dürfen. Es gibt in diesem Jahr noch keine einzige Rock-Platte, die mich richtig weggeblasen hätte. Klar finde ich einige sehr gut, aber sie bescheren mir lange nicht mehr solche Glücksmomente, wie Gitarrenmusik das schon mal vermochte. Ich habe auch kein Bedürfnis, die alten Platten wieder rauszuziehen. Musikalischer Historismus war nie meins, aber irgendwas muss jetzt passieren.

Oder bin ich jetzt in dem Alter, in dem man anfängt, Jazz oder Klassik zu hören?

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37 / 2007
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