Heiraten
Hochzeit mal anders
Niemand tanzt gerne auf öden Hochzeiten. Ich schon gar nicht. Ein Plädoyer für neue Hochzeitsbräuche.
Derzeit heiraten die Leute in meinem Bekanntenkreis wie die Fliegen. Schon seit zwei, drei Jahren wird ja eifrig proklamiert, dass man "das jetzt wieder macht" - gerade in Kreisen, in denen derlei bürgerlicher Quatsch traditionell verpönt war.
Damit bekommt die Unternehmung ´Hochzeitsfeier´ aber plötzlich auch eine ganz andere Note. Bis dato hatte ich den Eindruck, dass die Hochzeiten, denen ich beiwohnte, sich nicht groß von den Festivitäten der eigenen Eltern unterschieden. Es gibt da ein paar Dinge, die eben schon immer so gemacht wurden, die haben sich vor 30 Jahren bewährt und waren, na ja, lustig, und damit niemand durcheinander kommt, wird das eins zu eins übernommen.
Das geht schon mit der unsinnigen Regel los, dass beim Junggesell(inn)enabschied der Mann unbedingt Titten, die Frau unbedingt strippende Typen sehen muss.
Am großen Tag selbst ereilt das Brautpaar dann mit aller Gewalt der Gästelistenterror, denn natürlich mussten auch einige Leute eingeladen werden, auf die man überhaupt keinen Bock hatte. Hysterische Kreischtanten, tumbe Cousins und einen Altnazi-Großonkel hat fast jeder irgendwo in seiner Familie versteckt. Zarte Versuche, diese Weddingcrasher gezielt nicht einzuladen, werden allerdings von den Eltern gerne mal mit Sprüchen wie "Das kannst du nicht machen. Punkt. Ende der Diskussion!" abgebügelt. Es geht also nie darum, wen man denn gerne aus aufrichtiger Wertschätzung und Sympathie beim vermeintlich wichtigsten und schönsten Tag seines Lebens dabei haben möchte, sondern einzig und allein um den Verwandtschaftsgrad. Bis zur dritten Ecke werden einfach alle eingeladen, egal auch, ob man sie in seinem Leben vorher überhaupt schon mal gesehen hat. Die besten Freunde und liebsten Kollegen müssen als persönliche Note reichen, basta.
Ähnlich unflexibel gestaltet sich dann auch der Ablauf der Veranstaltung. Nach der Trauung auf dem Standesamt oder in der Kirche geht es dann erst mal zum Mittagessen, danach zwei Stunden Blabla und Rumgeeiere, gegen 15 Uhr stehen Kaffee und Kuchen auf dem Plan, danach erneut Hängen im Schacht, bis um 19 Uhr das Abendessen serviert wird. Unterbrochen wird das Gelage nur von allerlei aberwitzigen Hochzeitsspielchen, von denen es zwar irrsinnig viele (es sind 70.000 Einträge zu diesem Thema bei Google gelistet), allerdings kaum geistreiche gibt. Noch schlimmer: Reden, Vorträge und Gedichte, die fast ausnahmslos den Anschein erwecken, als hätte man sie irgendwo kopiert oder runtergeladen und lediglich die Namen der Protagonisten ausgetauscht. Wenn Tante Trudi dann mit einem abgegriffenen Klarsichtordner aufkreuzt, in dem sich noch auf einer Schreibmaschine getippte, bunte Blätter befinden, dann weiß man, dass man die Scherzchen, die sie gleich macht, schon mal irgendwo gehört hat.
Richtig finster wird es endgültig, wenn die Musi zum Tanz aufspielt. Um ein konsensfähiges Programm zu garantieren, bleibt als letzter Ausweg oft nur eine professionelle Hochzeitskapelle, so richtig mit schlecht sitzenden Klamotten, vollautomatischem Midi-Keyboard, Drumcomputer, einem saulustigen Frontmann und den garantiert beschissensten und durchgenudeltsten Songs der letzten fünfzig Jahre im Repertoire.
Dies alles führt dazu, dass die Hochzeit weniger der glücklichste als vielmehr der anstrengendste und nicht selten auch kostspieligste Tag im Leben des Brautpaares ist.
Doch das muss nicht so sein, wie ich spätestens seit Samstag weiß.
Man kann z.B. anstatt in einem muffigen Gasthaus auch in einem stillgelegten Jahrhundertwendebahnhof feiern, in dem die Gäste auch gleich übernachten können. Ein paar von den Eingeladenen mitgebrachte Torten und Salate reichen zusammen mit dem Spanferkel und Getränken als Festtagsmenü auch vollkommen aus.
Zudem war das Animations- und Showprogramm das charmanteste, warmherzigste und rührendste, das ich jemals bei einer Hochzeit erlebt habe. Ein Diavortrag der Väter (Kinderfotos der Heiratenden sind immer ein Bringer), augenzwinkernde Adaptionen von Quizshows wie ´Familienduell´, ´Wer wird Millionär´ oder ´Herzblatt´ mit kecken Fragen und Antworten, ein selbstgedrehter Film des Brautpaares sowie etliche spontane Reden und Aktionen der Gäste sorgten zusammen mit regelmäßigen Schnapsrunden und einem extrem geschmackssicheren DJ für eine wunderbare Feier. Es fühlte sich die ganze Zeit so an, als wäre man nicht in erster Linie bei einer Hochzeit, sondern vielmehr auf einer spitzenmäßigen Party. Dazu braucht es dann natürlich schon entspannte Eltern, Tanten und Onkel, die sich entsprechend zurück nehmen und verinnerlicht haben, dass das Brautpaar glücklich sein soll und so eine Veranstaltung eben nicht dazu da ist, die Verwandtschaft zu bauchpinseln.
Nur eine Sache fand ich nicht so gut: Während bei den eher traditionellen Hochzeiten die unverheirateten Damen engagiert nach dem geworfenen Brautstrauß hechten, hatte man hier das Gefühl, als käme eine tote Ratte auf die Ladies zugeflogen, so sehr wichen sie zurück, weil fangen gleich uncool. Deswegen landete das Ding beim ersten Versuch auf dem Boden und beim zweiten in den Armen von einer, die sowieso in ein paar Wochen heiratet und nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte.
Trotzdem: Genau so will ich auch mal heiraten.
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37 /
2007
ZEIT online