Homophobie

"Schwanz ab"

Schwulenfeindliche Gangsta-Rapper verdrängen die Reimkunst. Quo vadis, deutscher HipHop?

Die Kolumne von Markus Kavka

Am vergangenen Donnerstag hatten wir in den MTV News einen Beitrag über den HipHop-Track Keine Toleranz von G-Hot und Kralle. In dem Stück wird offen zur Gewalt gegen Homosexuelle aufgerufen, und mit Textzeilen wie "Ich geh mit zehn MGs zum CSD und kämpfe für die Heten, die auf Mädchen stehn", "Was ist bloß passiert, sie werden akzeptiert, es gab Zeiten, da wurden sie mit der Axt halbiert", "Nach einem Coming Out würde mich mein Vater mit einer Eisenstange schlagen", "Nie wieder freilaufende Gays" und "Meiner Meinung nach hat sowas kein Leben verdient" erfahren die homophoben Tendenzen im deutschen HipHop, speziell aus Berlin, einen neuen, unrühmlichen Höhepunkt.

Der Track ist mittlerweile weitestgehend aus dem Netz verschwunden, bei YouTube schaffen es trotzdem immer noch ein paar Unverbesserliche, ihn unter wechselnden Nicks stets aufs Neue zu posten. Erschreckend ist dabei, wie viel Zustimmung ´Keine Toleranz´ in den Kommentaren und diversen Foren zuteil wird. Das mussten auch wir gestern erfahren, nachdem wir in der Sendung klar gegen G-Hot Stellung bezogen und auch deutlich machten, dass nie wieder ein Video von ihm bei MTV oder VIVA laufen wird.

Neben vereinzelten positiven Zuschriften waren es leider vor allem Sachen wie "Ist doch ein geiler Track, dem ich nur zustimmen kann. Schwule sind nicht normal und widernatürlich!", "Ihr seid doch auch schwul, euch sollte man am nächsten Baum aufhängen!" oder "Scheiß Drecksschwuchteln, fickt euch! Gewalt gegen Homos! Kralle und G-Hot haben recht! Schneidet ihnen die Schwänze ab!", die in unserer Mailbox landeten. Ich muss gestehen, dass mir dazu nicht mehr viel einfällt, wobei schon klar ist, dass ein resigniertes Achselzucken gewiss keine adäquate Reaktion darstellt.

Eine Berliner Rapperin, die aus nachvollziehbaren Gründen anonym bleiben will, hat gegen G-Hot Anzeige erstattet. Das Landeskriminalamt bestätigte ihr, dass ihre Klage durchaus Aussicht auf Erfolg hätte. Auch Aggro Berlin, G-Hots ehemaliges Label, hat sich inzwischen klar von seinem Ex-Künstler distanziert. Der Vertrag war schon im September 2006 aufgelöst worden, in Anbetracht der aktuellen Ereignisse sah sich das Label nun auch dazu bemüßigt, jede weitere Zusammenarbeit mit G-Hot zukünftig auszuschließen. Wobei Aggro Berlin sich schon fragen lassen muss, wie ein Typ wie G-Hot eigentlich jemals bei dem Label landen konnte, denn eine derartige Gesinnung wird Gökhan Sensan, wie der Sohn einer Deutschen und eines Türken bürgerlich heißt, ja nicht erst in den letzten Monaten entwickelt haben.

Redet man bei Aggro vorher nicht mit den Jungs, die man nachher rappen lässt? Zudem gilt Fler, der immer noch bei Aggro Berlin unter Vertrag ist, als G-Hots Entdecker und Förderer. Da bleibt, obwohl auch Fler mittlerweile auf Distanz zu seinem alten Kumpel gegangen ist, also ein zweifelhafter Beigeschmack. Oder anders gefragt: Reagiert man im HipHop erst, wenn es um die Kohle geht, wenn man sich Künstler im wahrsten Sinn des Wortes nicht mehr "leisten" kann, weil die Grenze des schlechten Geschmacks überschritten ist? Seit Jahren lässt sich mit politischen Unkorrektheiten viel Geld verdienen, der US-Rap hat es vorgemacht, auch in Deutschland scheint diesbezüglich das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht zu sein. Was denkt ein Typ wie G-Hot sich, wenn er so einen Track auf seine MySpace-Seite stellt? Auch wenn man feststellt, dass Herr Sensan gewiss ein sehr dummer Mensch ist, so ging er offenbar doch in jedem Fall davon aus, dass seine Reime auf Zustimmung stoßen würden, auf dass damit seine stockende Rap-Karriere wieder ins Rollen käme.

Man kann sich schon kaum mehr vorstellen, dass es vor gar nicht all zu langer Zeit im deutschen HipHop politisch korrekte Künstler mit Wortwitz und ebenso musikalischer Gewitztheit gab. Ein paar von ihnen (Fettes Brot, Die Fantastischen Vier, Freundeskreis) haben sich als Elder Statesmen etabliert, doch die meisten Acts aus den traditionellen Kreativhochburgen Stuttgart und Hamburg leiden unter dramatisch schwindenden Plattenverkäufen oder sind, weil als uncool geltend, schon längst komplett weg vom Fenster. Anspruchsvoller Rap hat keine Konjunktur mehr - was zieht, ist der Gangsta-Kram, vorzugsweise aus Berlin.

Man sollte auch nicht den Fehler begehen, das Ganze als Modeerscheinung in bestimmten Schichten abzutun, oft genug gibt es Fälle, in denen homophobe, sexistische, gewaltverherrlichende und rassistische Aussagen im HipHop von vermeintlich intelligenten Menschen als Gepose, Übertreibung, Provokation oder gar Satire verniedlicht werden. Das Wort "schwul" als Bezeichnung für alles mögliche Negative, ist nicht nur in HipHop-Kreisen schon lange etabliert, da regt sich - so schlimm das ist - schon kaum mehr jemand so richtig auf. G-Hots Track hat sicherlich eine neue Qualität, und wenn es darauf hin nun tatsächlich zu Übergriffen auf Homosexuelle kommt, muss nicht nur G-Hot sich den Schuh anziehen, als Stichwortgeber Legitimation für Gewalt zu sein.

Ich möchte an dieser Stelle nicht erneut die Zensurdebatte anschieben, weil ich aber bezweifle, dass reaktionäre Höhepunkte wie jener von G-Hot grundlegende Konsequenzen nach sich ziehen, rege ich an, dass einige Player im HipHop-Business langsam mal eigenverantwortlich hinterfragen sollten, wie weit man bei der finanziellen Ausschlachtung grenzwertiger Inhalte noch gehen möchte. Mit ist bewusst, dass mein Arbeitgeber MTV diesbezüglich auch alles andere als eine weiße Weste hat. Wir arbeiten daran. Hoffe ich.

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29 / 2007
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