Markus hasst
Geht alle weg!
Privatradio ist die Hölle. Und am schlimmsten sind die Moderatoren dort. Werden die irgendwo geklont?
Ich gebe es zu, ich war auch mal einer von ihnen. Aber damals war das noch nicht so schlimm, ehrlich. Jetzt schon, wie die ganze Nation spätestens seit dem Bundesvision-Songcontest weiß. Denn am schlimmsten waren bei dieser Veranstaltung die: Privatradiomoderatoren!
Ich frage mich, ob die an einem geheimen Ort geklont werden. Zuerst entführt man aus Schulen die Typen, die ihren Klassenkameraden am meisten auf den Sack gehen, anschließend pflanzt man ihnen einen Sprachchip ein, auf dem Uhrzeit, Wetter und ein kleiner Fundus zotiger Witzchen gespeichert ist, zuletzt verpasst man ihnen noch eine Deppenfrisur, damit sie im Zweifelsfall auch auf Stadtfestbühnen, bei Baumarkteröffnungen und im Fernsehen ein schlüssiges Bild abgeben. Denn da wollen sie ja alle hin: ins Fernsehen.
Deswegen moderieren sie, wenn sie´s wie beim Songcontest mal kurz soweit gebracht haben, mit nacktem Oberkörper. Wenn es nur einen Funken Gerechtigkeit gibt, landen solche Flachzangen später mal bei 9Live. Weil es zudem auch NICHT lustig ist, Kim Frank Geld anzubieten, weil er in der Bild-Zeitung zugegeben hat, ein bisschen Pleite zu sein, Stefan Raabs Co-Moderatorin Johanna Klum mit Gülcan anzusprechen, als Moderatorenpaar rumzuknutschen, weil man "sich schon immer mal im Fernsehen küssen wollte" oder, gähn, so auszusehen wie die Band, die man unterstützt. Alle wollten sie saumäßig witzig sein, dabei ist verglichen mit ihnen selbst Fips Asmussen noch eine echte Gag-Kanone.
Im weiteren Verlauf des Wochenendes war ich im Auto quer durch die Republik unterwegs, und weil der CD-Player meines Leihwagens gesperrt war, musste ich Radio hören. Zugegeben, ich hätte den Deutschlandfunk oder einige öffentlich-rechtliche Sender einstellen können, aber angefixt durch die Eindrücke vom Freitag setzte ich mir konsequent die Privatradio-Hasskappe auf. Offenbar haben sie dort auch nur für mich moderiert, ich wurde nämlich dauernd mit ´Du´ angequatscht: "Wenn du heute Abend noch nichts vorhast, freust du dich jetzt bestimmt über unsere Partytipps", "Flitzerblitzer, dein bester Blitzerservice in Sachsen", "Du kannst jetzt anrufen und Tickets gewinnen", "Schön, dass du zuhörst". Ja, schön. Boah, ist das widerlich, diese pseudoverbindliche Schleimscheißerei.
Ich sehe ja ein, dass ein Jugendsender seine Hörer nicht siezt, aber durch das früher verbreitete ´Ihr´, mit dem die Hörerschaft kollektiv angesprochen wurde, fühlte ich mich längst nicht so bedrängt. Dafür aber weitaus besser informiert, denn der Gehalt der Moderationen beschränkt sich im wesentlichen auf gestanzte Senderclaims ("Hit Music Only", "Deine Black Music Station" etc.), die Uhrzeit, das Wetter und "Mein Name ist...". Ich will überhaupt gar nicht wissen, wie du heißt, weil du keine Sachen sagst, die mich interessieren.
Besonders schlimm sind allerdings die sogenannten "Morning Shows" oder "Morning Crews", denn da sitzen dann die lustigsten Leuchten des Senders am Mikro und machen vier Stunden am Stück Provinzcomedy. Exemplarisch hier mein Lieblingsgag des Wochenendes: Moderator zu Moderatorin: "Schatz, wach auf, du hast deine Schlaftabletten noch nicht genommen!" Auch der Wetterbericht wird nicht humoriger, wenn man ihn pseudoberlinert und "det Queckie uff 6 Jrad" steigt. Da kann sich der Co-Moderator noch so vor gekünsteltem Lachen ausschütten, es hilft nicht.
Zudem kommt vor und nach diesen Bonmots auch immer Musik, und spätestens da hört der Spaß dann ganz auf. Erschüttert stelle ich auch fest, dass die Jugendprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sich in einigen Gegenden zunehmend den Privatradios angleichen. Musikanteil (vor allem Kommerzkacke) hoch, Wortanteil runter, Pfeifen am Mikro.
Steigt man ein wenig tiefer in die Materie ein und recherchiert nach so einem Radiovollkatastrophenwochenende noch ein bisschen im Internet, dann stellt man fest, dass man eigentlich auch keine Chance hatte, diesen Wahnsinn zu verstehen. Dafür bin ich offenbar viel zu normal. In den Steckbriefen der Moderatoren behaupten unter der Rubrik ´Beschreibe dich selbst´ nämlich alle von sich, dass sie "bekloppt" oder "verrückt" wären, und, argh, "gut drauf". Gut drauf ist das Gegenteil von gut, denn Leute, die gut drauf sind, sind nie lustig, sondern in erster Linie saumäßig anstrengend.
Das darf ich dann auch oft erfahren, wenn ich hin und wieder mal vom Privatradio interviewt werde. Seit Jahren sind die drei vorwiegend gestellten Fragen: "Wie war´s, Kylie Minogue privat zu treffen?" "Wie war´s, Madonna und Mariah Carey zu interviewen?" und "Kannste mal heißen Backstage-Gossip von den MTV Awards erzählen?"
Klar, löbliche Ausnahmen gibt es immer wieder und bei jedem Sender, aber die Tendenz ist eine ungute.
Und obwohl ich beim Privatradio moderiert habe und im Fernsehen gelandet bin, verspreche ich, dass ich nie mit nacktem Oberkörper moderieren werde.
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07 /
2007
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