Balkan
Sarajevos Alpha-Mädchen
Trashige Electro-Beats, gewagte Outfits, explizite Texte – das Frauen-Trio Starke mischt mit feministischen Parolen Bosniens männerdominierte Musikszene auf.
Dies ist die Geschichte von drei jungen Frauen aus Sarajevo, die in ihrer Heimat via Internet zu Szene-Stars avancierten. Eine Geschichte über Feminismus, Sex mit USB-Sticks und die Lust an spielerischer Provokation. Sie beginnt im Frühjahr 2007: Jelena Milušić (30) und Andreja Dugandzić (29) experimentieren „nur so zum Spaß“ mit Songzeilen über die konservative Moral im Land. Befreundete DJs und Musiker kommen hinzu, das Spontan-Projekt entwickelt eine Eigendynamik, erhält das passende elektronische Gewand – und einen Namen: „Starke“, auf Deutsch: „Die Alten“.
Der offizielle Startschuss fällt im Juni 2007, als Starke auf der Internet-Plattform MySpace mehrere Mp3s, ein Video des Cybersex-Songs „Poljubac.cum_Kiss.cum“ sowie diverse Fotos in knappen Outfits einstellen. Explizite Texte über sexuelle Selbstbefreiung auf Englisch und Bosnisch treffen auf trashigen Electrosound. Wenig später entert die Debütsingle „Supercunt“ lokale Radiocharts. Über MySpace-Freundschaften wird sie auch in den Nachbarländern zum Geheimtipp. Eine über „Supermösen“ singende Mädchenband vom Balkan, inhaltlich und ästhetisch angelehnt an die Kanadische Künstlerin Peaches – das ist neu, das spricht sich rum. Im September 2007 geben Starke auf dem PitchWise Festival of Women´s Art in ihrer Heimatstadt Sarajevo ihr erstes Konzert. Jelena alias „JeJe“ und Andreja alias „Dre“ springen in Korsetts und Netzstrümpfen über die Bühne, im Hintergrund sorgt DJane Jasmina Mameledzija (27) an den Plattenspielernfür die Beats. Die energiegeladene Show kommt an. Bosnien-Herzegowinas männerdominierte elektronische Szene hat ihre ersten weiblichen Underground-Stars.
Unter der Woche arbeiten Jelena, Andreja und Jasmina bei in Sarajevo ansässigen internationalen Hilfsorganisationen. Durchaus typisch für eine Generation, die als Teenager vor dem Bosnienkrieg (1992 bis 1995) flüchtete und von der viele mit neuen Erfahrungen, Pässen und Sprachkenntnissen in die alte Heimat zurückkehrten. Jelena lebte in Belgrad sowie zehn Jahre lang in Vancouver, Andreja mehrere Jahre in Zagreb, Wien und Utrecht, Jasmina drei Jahre in der Nähe von Cuxhaven.
Sicher tragen auch diese persönlichen Hintergründe dazu bei, dass es Starke schon bald über die Landesgrenzen hinaus zieht: Im Oktober 2007 begeistern sie beim City of Women-Festival in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana, treten dort gemeinsam mit dem kanadischen Duo
Stink Mitt
(Deutsch: „stinkende Muschi“) auf. Bis heute folgen mehr als ein Dutzend Konzerte, unter anderen in Berlin,
München
, Zürich. Zwischenzeitlich steigt DJane Jasmina als festes Bandmitglied ein, Starke wachsen zum Trio. Im Sommer 2008, nach einem Jahr im Netz, nähert sich
ihr MySpace-Profil
der Siebzig-Tausend-Klick-Marke – beachtlich viel für eine Gruppeaus Südosteuropa, wo der eigene Rechner mit DSL-Flatrate die Ausnahme ist.
In Sarajevos kreativer Szene kennt sie jeder, doch die großen bosnischen Printmedien sind noch nicht auf Starke aufmerksam geworden. Und das, obwohl Jelena Milušić einige Jahre vor der Geburt der Gruppe an der größten TV-Casting-Show des Landes teilgenommen hat. Damals verlor sie erst im Finale gegen einen 16-Jährigen, nun pfeift Jelena auf die Karriere als Mainstream-Popstar. Als „JeJe“ steht sie stattdessen in freizügigem Outfit auf Underground-Bühnen und singt Zeilen über Cunnilingus („Lick me real good“) oder Sex mit einem USB-Stick („U-eS-Be, hajde uđi u mene“).Manchmal rufen Journalisten an und fragen, was die Castingshow-Finalistin so macht. Nur ein Hinweis – und Jelena könnte einen kleinen Skandal in der Regenbogenpresse ihrer Heimat anstoßen. Doch sie erzählt nichts von dem neuen Projekt. LeserInnen von Klatschblättern und Fans und Freunde von Starke – das ergibt ohnehin keine Schnittmenge. „Unser Publikum, das sind Leute wie wir“, erzählt Jelena.
Genauso wie DJane Jasmina ist sie in der von Bandpartnerin Andreja mitbegründeten
Feministinnen-Bewegung „CURE“
aktiv. Die Organisation möchte Frauenrechte über den Weg von Kunst und Kultur stärken. Andreja ordnet Starkes feministische Agenda der aus den USA nach Europa geschwappten „Dritten Welle“ zu. Statt die Opferrolle und Benachteiligung von Frauen zu beklagen, betonen die jungen Feministinnen weibliches Selbstbewusstsein und verpacken ihre Botschaft in Fanzines, Filme oder – wie Starke– musikalischer Provokation. Dass aber die Gleichberechtigung noch lange nicht erreicht ist, wissen auch sie: „In der Praxis begegnen wir immer noch Situationen, in denen wir uns verteidigen müssen, weil wir eher als Frauen und weniger als gleichberechtigte Menschen behandelt werden“, sagt Andreja. Starke streben eine Gesellschaft ohne vererbte Geschlechterrollen an, eine – wie sie es nennen – „Gender-Lessness“. Einer ihrer Songs endet in der Aussage: „You can be my dick, never dick-tator“. Im Starke-Kosmos heißt das so viel wie: Wir lassen uns weder etwas aufzwingen, noch lassen wir uns diskriminieren und manipulieren.
In einigen Punkten erinnern Starke an den „Vagina Style“ der deutschen Rapperin
Lady Bitch Ray
, wenn auch weniger marktschreierisch und auf Medienecho schielend. Zudem verzichten sie in ihren Texten anders als die Bremerin auf bewusst unter die Gürtellinie gesetzte Verbalschläge gegen andere KünstlerInnen. Gemeinsamer Nenner: Beide gehen provokant in die Offensive, beide möchten Sprache verwandeln und Gewalt über sie gewinnen. Im Falle von Starke zum Beispiel dadurch, dass sie versuchen, ein Wort mit negativem Beiklang wie „Cunt“ in „ein liebevolles Wort“ zu verwandeln. „Klar, wir benutzen eine sexuell konotierte Sprache“, sagt Jelena, „aber wenn ein HipHopper rappt `you stupid fucking lying bitch´ wird er sofort verstanden, wenn wir dagegen `I am a supercunt´ singen, müssen wir uns andauernd erklären.“
Starke entstammen einer auflebenden bosnischen Musikszene, die sich an globalen Trends orientiert – mit dem
Gramofon-Label
als Heimat international konkurrenzfähiger Acts wie
Basheskia
, Vuneny oder
Dubioza Kolektiv
, und den Labels Oscilator und
Republica
als Spielwiese für elektronische Klänge. Musik, die nicht in die mit Attributen wie „emotional“, „wild“, „authentisch“ randvoll gestopfte Schublade westlicher Balkan-Sehnsüchte passt. Die genau so in jeder anderen europäischen Stadt entstehen könnte. Als Teil dieser Szene stehen Starke für ein neues feministisches Bewusstsein, das sich grundsätzlich nicht von dem in Deutschland unterscheidet. Die jungen Frauen im multireligiösen, mehrheitlich moslemischen Sarajevo leben wie ihre westeuropäischen Altersgenossinnen. Religion ist Privatsache – und besonders für Kreative keine relevante Kategorie. In den Schaufenstern zwischen osmanischer Altstadt, österreichisch-ungarischem Zentrum und den Hochhäusern des modernen Geschäftsviertels spiegeln sich nur wenige Frauen mit Kopftuch, und sehr viele mit kurzen Röcken, engen Jeans, hochhackigen Schuhen.
Momentan arbeiten Jelena, Andreja und Jasmina am für Ende 2008 geplanten Debütalbum. Gleichzeitig verbreiten sie ihre Botschaft der „befreiten Weiblichkeit“ auf mehreren Sommer-Gigs in Kroatien: “Nichts auf die von Gesellschaft und Medien propagierten Frauen-Ideale geben. Nicht entsprechen. Nicht ideal sein.“
28 /
2008
ZEIT ONLINE