Daten-Piraterie

Alle hassen Peter

Peter Sunde betreibt die Pirate Bay, ein Download-Portal. Die Musikindustrie versucht seit Jahren, die Seite zu schließen. Hat er manchmal ein schlechtes Gewissen?

Ein Interview von Chris Köver

Der größte Feind der Kulturindustrie sieht sympathisch aus: Jungengesicht, adretter Haarschnitt, Typ Schwiegersohn. Der junge Mann heißt Peter Sunde, ist 28 Jahre alt und einer der drei Betreiber der Torrent -Tracker-Webseite The Pirate Bay . Die Chefs großer Plattenfirmen und Hollywoodstudios hassen ihn.

Info : Die Webseite The Pirate Bay ist ein so genannter BitTorrent-Tracker. Sie stellt selbst keine (raubkopierten) Daten zur Verfügung, sondern lediglich Verweise zu diesen in Form von .torrent-Dateien. Wer etwa einen Film herunterladen will, lädt sich zunächst von der Tracker-Seite aus die passende .torrent-Datei herunter und verbindet sich dann mit ihrer Hilfe mit anderen Anbietern, die den Film untereinander tauschen. Weil The Pirate Bay selbst kein urheberrechtlich geschütztes Material zur Verfügung stellt, kann die Organisation nach schwedischem Recht nicht belangt werden.

Für Menschen, die Alben, Filme oder Fernsehserien illegal aus dem Internet herunterladen, ist The Pirate Bay eine der wichtigsten Adressen. Die Seite ist eine riesige Suchmaschine für Torrent-Dateien. Mit deren Hilfe kann man sich innerhalb kürzester Zeit fast alles herunterladen – ob urheberrechtlich geschützt oder nicht. In der Liste der meistbesuchen Webseiten weltweit ist The Pirate Bay momentan auf Platz 128 , mehr als zwei Millionen Menschen besuchen sie jeden Tag.

Vergangene Woche hat Sunde mit dem Chef des Verbandes der internationalen Tonträgerindustrie IFPI telefoniert. Die schwedische Abteilung des Verbandes verklagt ihn gerade auf 1,6 Millionen Euro Schadensersatz. Das nehme er nicht persönlich, sagt Sunde. Bei solchen Gesprächen sei er immer ausgesprochen höflich.

Die Chefs der Filmstudios und Plattenfirmen nehmen das, was Sunde und seine beiden Mitstreiter Fredrik Neij und Gottfrid Svartholm tun, durchaus persönlich. Für sie ist er ein skrupelloser Krimineller , der kreative Werke anderer nutzt, um sich selbst zu bereichern. Hat dieser Mensch keinen Anstand? Zuender wollte es wissen und sprach mit ihm über Moral.

Zuender: Herr Sunde, mit Hilfe Ihrer Webseite The Pirate Bay laden täglich Tausende von Menschen urheberrechtlich geschütztes Material herunter. Damit schaden Sie denjenigen, die diese Urheberrechte besitzen. Ist das nicht unmoralisch?

Peter Sunde: Wir helfen Menschen dabei, miteinander zu teilen – egal ob das geteilte Material urheberrechtlich geschützt ist oder nicht. Das ist nicht unmoralisch. Im Gegenteil: Sie davon abzuhalten, wäre unmoralisch. Zu kopieren und zu Teilen ist Teil der menschlichen Natur. Menschen haben das schon immer getan. Die Idee des geistigen Eigentums ist dagegen ein verhältnismäßig neues Konzept, weniger als hundert Jahre alt.

Zuender: Dann handeln also die Hollywood-Studios und Plattenfirmen unmoralisch, wenn sie auf ihre Urheberrechte pochen?

Peter Sunde: Das Urheberrecht an sich ist unmoralisch. Es basiert auf der Idee, dass jemand eine großartige Idee hat und diese Idee danach ihm gehört. Aber so ist es nicht: Jeder, der kreativ arbeitet, greift auf die Ideen anderer zurück, das ist eine Grundlage von Kunst. Die Idee des Urheberrechts ist also vollkommen unlogisch. Sie dient nur dazu, Geld zu verdienen und schadet der Gesellschaft, weil sie kreative Entwicklung verhindert.

Zuender: Indem jemand urheberrechtlich geschütztes Material illegal herunterlädt, fügt er den Künstlern finanziellen Schaden zu.

Peter Sunde: Alles deutet darauf hin, dass die Nutzer von Tauschbörsen stärker an Kultur interessiert sind und mehr Geld dafür ausgeben. Die Künstler und die Kulturindustrie werden durch den illegalen Tausch von Musik oder Filmen nicht geschädigt, sie profitieren davon.

Zuender: Für Musik mag das stimmen. Da höre ich erst rein und kaufe danach das Album. Aber wenn ich mir einen Film herunter geladen habe, werde ich ihn sicher nicht noch mal im Kino ansehen.

Peter Sunde: Die Kulturindustrie muss eben neue Wege finden, um mit ihren Produkten Geld zu verdienen. Zum Beispiel könnte man Leute für eine monatliche Gebühr alle Filme herunterladen lassen, die sie sehen wollen. Der Konsument bezahlt dann nicht mehr für den Film selbst, sondern dafür, dass ihm dieser unkompliziert und in guter Qualität zur Verfügung gestellt wird. So ein Angebot fände ich super.

Zuender: Eine der offiziellen Regeln von The Pirate Bay ist es, keine Dateien zu entfernen, so lange sie richtig gekennzeichnet sind – egal, was ihr Inhalt ist. Gibt es keine moralische Grenze, etwa bei Kinderpornografie?

Peter Sunde: Doch. Wir entfernen alle Dinge, deren Besitz die Polizei als illegal einstuft. Dazu gehören Kinderpornografie, Gewaltvideos und alle anderen Darstellungen, in denen Menschen physisch verletzt werden. Wir wollen nicht, dass die Menschen, die dieses Material verbreiten, unsere Technologie nutzen.

Zuender: Gibt es andere Dinge, die aus moralischen Gründen entfernt werden?

Peter Sunde: Nein. Gegen Pornografie an sich haben wir nichts einzuwenden, so lange sie in einen dafür vorgesehenen Bereich hochgeladen wird. Ich selbst bin kein Fan von Pornos, aber ich möchte meine moralischen Vorstellungen anderen nicht aufzwingen.

Zuender: The Pirate Bay nimmt dieses Jahr an der Internationalen Kunstbiennale Manifesta teil. Ist das, was sie tun, Kunst?

Peter Sunde: Die Leute lachen uns aus, wenn wir sagen, The Pirate Bay sei Kunst, aber wir meinen es ernst. Wir diskutieren im Grunde den ganzen Tag über Gesellschaft und Kultur – ohne dafür bezahlt zu werden. Wir finden, dieses Nachdenken über Kultur ist ebenfalls Kultur. Also ist das was wir tun Kunst. Ich hoffe, das klingt nicht zu eingebildet.

Zuender: Wer sich auf die künstlerische Freiheit beruft, darf fast alles. Darf The Pirate Bay alles?

Peter Sunde: Wir tun, was wir wollen. Dass andere uns dafür hassen, ist uns egal. Hauptsache, wir haben Spaß dabei. Wir sehen uns nicht außerhalb des Gesetzes, aber wir genießen es, die legalen Grauzonen auszutesten.

Zuender: Wie finanzieren Sie den Betrieb der Webseite?

Peter Sunde: Über die Anzeigen auf der Seite. Bevor wir genug Einnahmen aus den Anzeigen hatten, haben wir Spenden gesammelt, aber die brauchen wir heute nicht mehr.

Zuender: Würden Sie von jedem Geld nehmen, der es Ihnen anbietet?

Peter Sunde: Natürlich. Solange ich mit dem Geld etwas Gutes tue, sehe ich das moralisch gerechtfertigt.

Zuender: Schwedische Medien haben berichtet, dass der rechtspopulistische Unternehmer Carl Lundström The Pirate Bay finanziell unterstützt hat.

Peter Sunde: Mein Kollege Fredrik Neij hat damals beim schwedischen Internetprovider Rix Telecom gearbeitet, Lundström war der Geschäftsführer. Als wir The Pirate Bay vor fünf Jahren gründeten, bat Fredrik um einen Mitarbeiterrabatt für Bandbreite und Serverkapazität, der wurde ihm gewährt. Wir haben uns also indirekt von Lundströms Firma unterstützen lassen, aber er hat uns nie Geld oder Geräte gespendet.

Zuender: Die Verbände der Film- und Musikindustrie sagen, Sie würden mit The Pirate Bay Profit machen und betrieben die Seite aus kommerziellen Gründen.

Peter Sunde: Wir haben zwar viel Werbung auf der Seite. Aber weil wir ein kontroverses Projekt sind, ist es sehr billig, bei uns zu werben. So verdienen wir mit der Werbung verhältnismäßig wenig – trotz der hohen Besucherzahlen. Die Einnahmen reichen gerade aus, um den Betrieb der Webseite zu finanzieren. Wenn etwas übrig bleibt, kaufen wir davon neue Server oder bezahlen unsere Vortragsreisen.

Zuender: Betrachten Sie The Pirate Bay als politisches Projekt?

Peter Sunde: Auf jeden Fall. Der Kampf gegen das geltende Urheberrecht ist ein Kampf für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist eine politische Frage.

Zuender: Was hat es mit Recht auf Meinungsäußerung zu tun, wenn ich Musik kopiere und tausche?

Peter Sunde: Wenn ich auf keine fremden Ideen mehr zurückgreifen kann, weil alles urheberrechtlich geschützt ist, kann ich mich nicht mehr frei ausdrücken.

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41 / 2005
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