Russland

Die Copy/Paste-Demokratie (4)

Mein Haus, mein Auto, mein Präsident?

Von Susanne Gugel

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Um den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Politik zu erklären, verweist der Politikwissenschaftler Wolfgang Eichwede auf die Entwicklung in Europa:

In England zum Beispiel habe während der industriellen Revolution Unterdrückung und Klassenkampf geherrscht. Doch als sich die wirtschaftlichen Verhältnisse stabilisierten und ein gewisser Wohlstand einsetzte, wurde in England das allgemeine Wahlrecht eingeführt. Heute gilt England als die Wiege der modernen Demokratie.

Und bei uns? Erst kam das Wirtschaftswunder, dann die Ära '68. Russland habe das Experiment gewagt, die Reihenfolge umzudrehen, sagt Wolfgang Eichwede.

Das wird jetzt zum Problem. „Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat wirtschaftlich viele Verlierer hervorgebracht. Die freie Wirtschaftsordnung war nicht sozial abgefedert. Und die Kosten werden der demokratischen Ordnung angelastet.“

Doch wenn erst einmal ein Häuschen zu halten gebe, kann sich Wolfgang Eichwede vorstellen, „wollen die Russen die kleine Welt, die sie sich aufgebaut haben, auch besser geschützt sehen. Dann werden sie vielleicht nach mehr Mitbestimmung fragen.“

Für den Moment zumindest, sagt auch die Moskauer Politologin Maria Usacheva, seien die Menschen viel mehr mit ihren alltäglichen Problemen beschäftigt als mit Politik. „Viele, besonders in der Provinz, sichern einfach ihre Existenz, ohne sich über »die da oben« Gedanken zu machen.“

Der Historiker Leonid Luks von der Uni Eichstädt argumentiert anders: Sollten eines Tages die Erdölpreise sinken und die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander gehen, könnte das die jetzigen Verhältnisse destabilisieren und dazu führen, dass die Menschen für mehr Demokratie auf die Straße gehen. Dank des westlichen Energiehungers sieht es danach freilich gerade nicht aus.

Nächste Frage: In welchem Klima entsteht Politik?

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10 / 2008
ZEIT ONLINE