Integration

„Verwunderlich, dass ihr euch wundert“

Huch, die Türken in Deutschland fühlen sich als Türken, nicht als künftige Deutsche. Warum merken wir das jetzt erst? Fragen an Bülent Arslan vom Deutsch-Türkischen Forum

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat am vergangenen Wochenende die nach Deutschland ausgewanderten Türken als Landsleute angesprochen. Die Opfer des Brandes von Ludwigshafen wurden in ihrer Heimat – in der Türkei – bestattet. Das alles deutet darauf hin, dass viele türkische Migranten sich weiterhin als Türken fühlen, obwohl sie schon lange in Deutschland leben, oder sogar hier geboren wurden.

Zuender : Herr Arslan, auf wie viele Deutschtürken trifft diese Beschreibung zu?

Bülent Arslan : Auf die große Mehrheit. Und es wundert mich, dass sich nun auf einmal Deutschland wundert, dass es so ist. Innerhalb der türkischen Communitys ist dieses Gefühl Normalität. Sie fühlen sich nicht als Deutsche, sondern der Türkei verbunden. Sie identifizieren sich mit der türkischen Politik und nicht mit der deutschen. Das ist seit 30 oder 40 Jahren so.

Ich finde es gut, dass dieser Zusammenhang jetzt endlich nach außen dringt und die Öffentlichkeit das Problem erkennt. Nicht gut ist natürlich, dass dies – vorsichtig gesagt – ein gewisses Unbehagen in der deutschen Bevölkerung erzeugt. Die Leute sind in diesen Tagen ziemlich angespannt.

Zuender : Was bedeutet das für die Integrationsdebatte? Wir können ja mal annehmen, die Deutschen erkennen den Sachverhalt nun und akzeptieren ihn zu Teilen sogar.

Bülent Arslan : Nein. Für die gesellschaftliche Diskussion bedeutet dies, dass die Ansätze sich ändern müssen. Ganz früher haben alle gedacht, man müsse Toleranz zeigen, dann würde das schon gehen mit der Integration. Dann gab es eine zweite Welle, in der wir bis vor Kurzem steckten. Da hieß es, man müsse nur die deutsche Sprache vermitteln, dann funktioniere das schon. Beides reicht nicht aus. Wir müssen es schaffen, dass die Türken sich Deutschland und seiner Gesellschaft emotional zugehörig fühlen.

Zuender : Aber muss es denn ein Problem sein, dass die Türken in Deutschland sich als Türken fühlen? Wir könnten uns ja auch darauf einstellen und die Ziele der Integration eben ein bisschen niedriger setzen.

Bülent Arslan : Das wird zu Konflikten in der Gesellschaft führen, wie wir sie auch jetzt schon erleben. Wenn diese Konflikte sich weiter hochschaukeln, kann es gefährlich werden.

Zuender : Warum soll es in einem modernen Europa nicht möglich sein, dass Teile eines Volkes einfach woanders leben? In den China Towns und Little Italys, in Metropolen wie New York funktioniert das doch auch.

Bülent Arslan : Es wird so sein, dass die Gesellschaften der Zukunft – auch die deutsche – aus verschiedenen Kulturgemeinschaften bestehen. Aber diese Gemeinschaften müssen etwas haben, das sie verbindet. Das ist in den USA der Fall. Man ist nicht nur Chinese oder Hispanic, sondern auch Amerikaner. Und wenn es darauf ankommt, steht man zusammen. In Deutschland ist das nicht so.

In den USA würde kein Mensch auf die Idee kommen, die Probleme der hispanischen Einwanderer über Mexiko lösen zu wollen.

Zuender : Was meinen Sie damit?

Bülent Arslan : In Deutschland glauben manche auch nach Jahrzehnten noch, dass die Türkei für die Türken in Deutschland zuständig sei.

Zuender : Indem man sie abschiebt, wenn sie hier Unsinn anstellen?

Bülent Arslan : Das meine ich gar nicht. Es ist eher eine mentale Sache, ich erlebe das auch oft. Da werde ich dann gefragt: „In ihrem Heimatland dürfen doch auch keine Kirchen gebaut werden. Warum sollen dann hier Moscheen entstehen?“ Die Ausgrenzung ist in Deutschland geistig fest verankert – ihr gehört hier nicht hin, sondern in die Türkei. Das ist der Grundton.

Zuender : Schauen wir uns Migrations-Biografien an, die in den vergangenen Jahren als beispielhaft dargestellt wurden. Da kamen am Ende meist die besseren Deutschen heraus.

Bülent Arslan : Klar, das ist kein Widerspruch zu dem, was ich eben gesagt habe. Deswegen war die Debatte bis jetzt auch scheinheilig – auf beiden Seiten. Die deutsche Gesellschaft hat immer wieder gesagt: Wir wollen Integration, nicht Assimilation. Und die Türken hatten immer große Angst davor, dass doch Assimilation gemeint war.

Jetzt kommt Erdoğan und sagt das Gleiche – mit dem Ergebnis, dass die Empörung in Deutschland groß ist. Das heißt am Ende, dass in der Vergangenheit zwar politisch korrekt nach Integration gerufen wurde, dass in Wahrheit aber ein Höchstmaß an Anpassung gewünscht wurde.

Zuender : Was könnte das gemeinsame verbindende Ding sein? Meinetwegen sogar in Europa.

Bülent Arslan : Europa meine ich nicht, das kann nicht funktionieren. Aus meiner Sicht müsste das Deutschland sein. Und das, was uns verbindet, darf nichts akademisch Rationales sein. Die Grundrechte und die Verfassung sind schön und gut, taugen aber in der Praxis kaum. Wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung wissen denn, was in der Verfassung steht? Von den Migranten ganz zu schweigen.

Es müsste einfacher sein, gefühlsbezogener. Ich sage, das kann nur Deutschland sein oder seine Symbole, von mir aus die Fahne. Das ist ein schwieriges Terrain, schon klar warum. Aber mehr Normalität im Umgang mit der Geschichte würde auch der deutschstämmigen Gesellschaft gut tun. Ich stelle mir das ein bisschen vor wie bei der Fußball-WM 2006. Das war kein Nationalismus, sondern ein weltoffener und sympathischer Umgang mit der nationalen Identität, der auch viele Migranten begeistert hat.

Zuender : Hat der türkische Ministerpräsident also das Richtige gesagt?

Bülent Arslan : Nein, hat er überhaupt nicht. Er hat großen Schaden angerichtet. Erdoğan hätte wissen müssen, welche Konsequenzen das in der deutschen Öffentlichkeit haben würde.

Zuender : Er hat vielleicht ein Bewusstsein geweckt.

Bülent Arslan : Kann schon sein, aber das war nicht seine Absicht. Wenn so ein Bewusstsein am Ende herauskäme, wäre das allerdings in Ordnung.

Die Fragen stellte Carsten Lißmann

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07 / 2008
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