Street Art
Die Straße als Oase
Adrian Nabi hat Kunst von der Straße geholt und in die Galerie gebracht. Mit uns redet er aber lieber über Werbung und was man dagegen ausrichten kann. Ein Interview mit dem Kurator der Berliner Ausstellung Backjumps
Du sagst, die Backjumps sei eine Street Art Ausstellung. Was ist Street Art?
Das Wort sagt zunächst nur aus, dass es sich um Ausdruck oder Kunst im öffentlichen Raum handelt.
Viele können mit Street Art mehr anfangen als mit den klassischen Graffitis, die als Schmiererei verschrien sind.
Street Art ist leichter zugänglich, weil sie viele figurative, comichafte oder poppige Elemente hat. Writing oder Sprühen, also das was andere Graffiti nennen, ist dagegen urbane Kalligraphie. Und wie viele Leute haben Zugang zu asiatischen oder orientalischen Kalligraphien? Das Problem der Sprüherkultur ist, dass 90 Prozent der Sachen auf der Straße nicht gut aussehen. Aber sie sind trotzdem ein Teil dieser Kultur. Du bist nur dann ein Writer, wenn du es draußen machst – nicht auf dem Papier.
Ich sehe das Sprühen als eine chemische Reaktion der Großstadtkids auf ihre Umgebung. Wir leben hier in keiner schönen Gesellschaft, es passieren viele hässliche Sachen. So etwas wie Writing kann nur eine aggressive und hässliche Großstadt ausspucken.
Ist Writing auch eine Kunstform?
Für mich ist die Writer-Kultur die einzige ausgereifte Kunstform im öffentlichen Raum. Seit den Anfängen an der amerikanischen Ostküste in den Sechziger Jahren gab es eine lange Entwicklung – erst auf den Zügen, von den Zügen in die Straßen. Ich will andere Formen von Street Art nicht abwerten, aber für mich sind sie im Gegensatz zu Writing noch keine eigene Kunstbewegung. Bisher ist der einzige gemeinsame Nenner von Street Art, dass unterschiedliche Leute sich die Straße ausgesucht haben, um sich auszudrücken. Aber ich finde diese Kunstdiskussion auch nicht so wichtig.
Was ist dann wichtig?
Dass wir mit Street Art in das Stadtbild eingreifen und irritieren. Es wird einfach zu viel Schaden angerichtet. Firmen kaufen den städtischen Raum auf und klatschen uns dort ein Image vor, das wir gar nicht sehen wollen. Überall hängen Plakate mit zwei Mal drei Meter großen Frauen, die völlig unwirklich aussehen. Werbung, die solche Bilder zeigt, erzeugt bei den meisten Menschen Minderwertigkeitskomplexe. Das vermindert unsere Lebensqualität. Dagegen will ich Oasen setzen, von denen ich hoffe, dass sie uns ein Stück weit visuell therapieren. Kunst will nichts verkaufen, sie hält den Geist offen und flexibel. Sie provoziert dazu, Dinge zu hinterfragen.
In den Ausstellungen zeigt ihr auch Künstler wie
Swoon
oder
Banksy
, die mittlerweile in der internationalen Kunstszene anerkannt sind und mit ihren Arbeiten viel Geld verdienen. Was hat das noch mit den Kids zu tun, die hier in Kreuzberg sprühen?
Manche Writer, die heute anerkannte Künstler sind, waren vor zwanzig Jahren auch illegal auf der Straße aktiv. Inzwischen haben sie sich weiterentwickelt und suchen nach neuen Wegen, um sich auszudrücken. Viele Leute sind dafür offen – die Besucherzahlen unserer Ausstellung sprechen für sich. Andere sind dogmatisch und halten sich für den Hüter des heiligen Grals. Für sie sind Künstler, die nicht mehr auf der Straße, sondern im Museum sprühen, nicht mehr Teil der Szene. Aber das ist mir egal. In der Kunst geht es nie darum, alle zufrieden zu stellen. Du musst das machen, was du für richtig hältst. Sonst bist du nicht ehrlich.
Die erste von dir organisierte Ausstellung für Street Art fand vor vier Jahren statt. Wie hat sich die Szene seitdem verändert?
Ich bin nicht der Typ, der sich ständig Sachen über Street Art reinzieht und immer weiß, was der neue Hype ist. Aber ich bin seit 1983 in der Hip-Hop-Kultur aktiv und bringe seit 1994 mein eigenes Street-Art-Magazin heraus. Ich habe also mittlerweile eine gewisse Erfahrung. Mit Street Art ist es ähnlich wie in der Kunstszene: Es gibt viele Künstler, aber wenig gute. Nur weil etwas gerade gehypt wird, muss es nicht gut sein.
Die Ästhetik von Street Art wird mittlerweile häufig in der Werbung benutzt. Diese Bilder haben mit der Straße nichts mehr zu tun. Ist das für dich trotzdem noch Street Art?
Der Name sagt schon alles: Es ist nur dann Street Art, wenn es auf der Straße passiert.
Vor der ersten Ausstellung hast du gesagt, du möchtest zeigen, dass die Writing-Kultur mehr ist eine Beschäftigung für schwierige Kids im Jugendzentrum. Habt ihr das inzwischen geschafft?
Wenn ich nach den Rückmeldungen des Publikums gehe, würde ich sagen: ja. Aber ich kann das nicht wirklich beurteilen. Wichtig ist, dass es eine Bereicherung für die Leute ist. Kunst im öffentlichen Raum irritiert, sie kann dich für einen Moment rausholen. Wenn ich das für ein paar Sekunden schaffe, bin ich schon glücklich. Ich bin nicht der Typ, der die Welt verändern will, aber ich möchte die Leute berühren. Alles darüber hinaus wäre anmaßend.
Die Backjumps-Ausstellung ist vom 23. Juni bis zum 19. August im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin zu sehen. Weitere Informationen und das vollständige Programm gibt es auf der
Webseite.
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26 /
2007
ZEIT online