Ladyfest

Politisches Gerede, praktisch

Finde den Fehler: "Junge Feministinnen feiern eine Sexparty". Aber genau so war es vergangene Woche in Wien. Und es war gut.

Von Chris Köver

Der Gang ist dunkel, die meisten der kleinen Zimmer, die sich von dort aus öffnen, leer. Nur aus einem der hinteren Räume hört man Fickgeräusche: rhythmisches Stöhnen, dann das Lachen zweier Frauen, dann wieder Stöhnen. Scheint Spaß zu machen. Die Tür ist offen, aber man erkennt die Körper nur schemenhaft.

Es ist noch früh, erst kurz vor Mitternacht und die Sexparty im Wiener Swinger-Club Tempel noch nicht richtig in Schwung. Die Ketten im SM-Raum baumeln einsam und unbenutzt von der Decke. Die meisten Frauen stehen weiter vorn auf dem Gang oder an der Bar, rauchen und unterhalten sich. Einige tragen Korsetts oder Hotpants, andere haben sich Bärtchen angeklebt und sind als Polizisten, Matrosen oder normale Männer gekleidet. Auf ihrer Kleidung kleben Zettel mit Nummern, umrahmt von einem roten Herz. Männer sind heute Abend keine da, oder besser: niemand, der als Mann geboren wurde und es auch heute noch ist. Zutritt hatten nur "Female queers und Transgenders".

Etwas plüschig sieht es hier aus. Rote Wände, viel roter Samt, rote Rüschengardinen. Auf einem Schild neben der Bar steht "No pictures please!". An den Wänden hängen schwarz-weiß Photografien nackter Frauen – Kunst, Valie Export und so. Geschmackvoll. Einziges irritierendes Detail sind die Papierhandtuch-Spender, die hier überall an der Wand angebracht sind. Weiter hinten führt ein Gang zu den "Spielbereichen", dort gibt es einen SM-Raum und einige Betten. In einem Zimmer läuft ein Porno auf einem Flachbildschirm, aber die beiden Frauen dort beachten ihn nicht weiter, sondern unterhalten sich nur.

"Im Grunde ist ja jede queere Party eine Sexparty", sagt Linda, eine der Veranstalterinnen. "Wir haben das nur institutionalisiert, einen Raum dafür geschaffen. Auf unserer Party muss man halt nicht auf die Toiletten oder nach Hause gehen, um Sex zu haben." Linda ist eine von zehn Frauen aus der "Sex AG". Sie haben die Party als eine von vielen Veranstaltungen während des queer-feministischen Festivals Ladyfest organisiert. Unter jungen Feministinnen auf der ganzen Welt sind die Festivals mittlerweile eine Institution. Wichtigste Grundlage: Alles wird von einer Gruppe vor Ort selbst organisiert – Do It Yourself (DIY) – und Frauen stehen im Mittelpunkt. Konzerte und Ausstellungen sind ebenso auf dem Programm wie Workshops zu Studiotechnik, Sexismus im Alltag oder Fanzine-Produktion. Und diesmal eben auch eine Sexparty.

"Vorhin gab es eine Bondage-Show," erzählt Nummer 63. Sie lehnt an der Wand gegenüber der Toiletten und hat einen Longdrink in der Hand. "Aber ich habe nix gesehen, weil so viele vor mir standen. Nachher soll es auch noch eine Drag-Show geben, aber ich glaube die fällt aus. Bisher hat sich keiner angemeldet." Später erzählt sie, dass sie Platten auflegt und mit ihrem lesbischen DJ-Kollektiv regelmäßig Partys in Wien veranstaltet. Auf einer Sexparty war sie auch noch nie.

"In feministischen Kreisen redet man fast nur über die negativen Seiten von Sex, nur selten darüber, dass Sex auch Lust und Spaß macht," beklagt sich Linda zwei Tage später in einer Wiener Eisdiele, als einige der Veranstalterinnen sich noch mal treffen. "Und selbst wenn, wird nur geredet." Die Sex AG habe das politische Gerede mal in die Praxis umsetzen wollen. Außer Linda sind noch Anne, Rika, Lilian und Sarah dabei, alle in ihren Zwanzigern. Wie lüsterne Sexgöttinnen sehen sie nicht aus, es sind ganz nette Menschen. Nette Menschen, die wissen, was ihnen Spaß macht. Oder es herausfinden wollen. Vor allem um einen bewussteren Umgang mit der eigenen Sexualität sei es ihnen gegangen, darum herauszufinden, was einem Lust macht, sagt Anne, eine zierliche junge Frau mit dunklem Pagenkopf und blauem Kapuzenshirt. "Wir wollten einen geschützten Raum bieten, in dem man sich Blicken aussetzen kann, oder auch Blicke werfen." Sie benutzt Worte wie "Lust" und "Blicke" ganz normal, ohne verlegen zu werden. Klar könne man auch auf anderen Partys Sex haben, aber auf der Sexparty sei das Reden über Sex offener und dadurch weniger peinlich.

Damit der Raum auch tatsächlich sicher bleibt, haben die Veranstalterinnen im Vorfeld Regeln aufgestellt. Am Eingang zum Club werden Zettel verteilt, auf denen ein "respektvoller Umgang miteinander" angemahnt wird. "Übernimm bitte Verantwortung für dich Dich und die Menschen um Dich", steht dort, "No means no" und "Alle Körperlichkeiten der Anwesenden verdienen Respekt.". Dann folgen ein paar praktische Regeln: "Im Spielbereich im hinteren Teil der Clubs darf nicht geraucht werden. Bitte die zur Verfügung gestellten Handtücher unterlegen und wechseln. Wenn du etwas im SM-Raum ausprobieren möchtest und Dich nicht auskennst, frag bei einer der Organisatorinnen nach."

Nicht alle Frauen aus dem Ladyfest -Team waren von der Idee begeistert. "Da hieß es: Ihr wollte doch nur ficken und denkt nicht nach. Da kann so viel passieren", erzählt Linda. Dabei sei gerade die Frage der Sicherheit eine ihrer größten Sorgen im Vorfeld gewesen. Was, wenn eine Situation eskaliert oder eine Frau zu etwas gezwungen wird, das sie nicht tun will? "Wir sind ja auch psychologisch überhaupt nicht kompetent, das aufzufangen", sagt Anne. Deswegen hat sich die AG auch gegen eine gemischte Party entschieden. "Mit Typen wäre alles viel mühsamer gewesen. Die machen eher Stunk. Außerdem besteht dann die Gefahr, dass Männer kommen, nur um sich ‚die Lesben’ anzuschauen." Trotzdem sollte es keine rein lesbische Party sein, beteuert Anne. "Da waren auch viele Hetero-Frauen." Schließlich könnten die sich ja auch selbst befriedigen oder Pornos gucken.

Selbst in der Sex AG haben nicht alle so ein entspanntes Verhältnis zu Sex. Lilian, die die ganze Zeit über eher ruhig war, sagt zum Schluss noch, für sie sei die Party auch ein Weg gewesen, über ihre eigene Verklemmtheit hinwegzukommen. "Ich wusste, ich musste das ändern, sonst hätte es mein Leben kaputt gemacht."

Sind Szenen wie die zwei Abende zuvor auf der Sexparty lebensändernd? Kurz nach Mitternacht begann doch noch die angekündigte Drag-Show. Ein Polizist in dunkelblauer Uniform steht auf der Bühne und moderiert den Wettbewerb, unter dem Schirm der großen Mütze ist sein Gesicht kaum zu erkennen. "Liebe Damen, Damen und Damen!" ruft er in das johlende Publikum. Dann kommt ein Matrose zu ihm auf die Bühne und die beiden tanzen gemeinsam zu YMCA. Der erste Preis ist ein Schwamm, als Trostpreise gibt es Dental Dams. Wirklich erotisch ist das nicht, eher lustig.

Irgendwann nach der Drag-Show nimmt die Sexparty ziemlich entspannt ihren Lauf. In einem der kleinen Zimmer sitzen Frauen auf den plüschigen Sofas und unterhalten sich. In einer Ecke bemalt Nummer 38 den nackten Oberkörper von Nummer 103 mit Theaterschminke. Nummer 81, eine junge Frau mit stoppeligen, blonden Haaren, steckt den Kopf rein: "Na, da seid ihr ja. Wollte mal in den SM-Raum gehen. Kommt ihr mit?" "Ach nö, jetzt gerade nicht. Wollte später noch mit Susi da rein. Die kennt sich aus und wollte mir ein paar Sachen zeigen."

"Wir sind sehr zufrieden gewesen," sagt Linda später und lächelt.

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21 / 2007
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