Musik
Allein mit der Musik
So konsequent todtraurig kann man nur mit sechzehn sein. Anja Plaschg singt über Tod im Kinderzimmer und andere düstere Dinge. Arno Raffeiner hat sie getroffen
Ein Treffen in Wien sagt Anja Plaschg per Email zu, "ängstlich, aber doch". Nach der kurzen Begrüßung in einem Café ist das erste, was sie mit dünner Stimme sagt: "Ich bin krank." Diese Mischung aus Abwehr bei gleichzeitiger Entblößung schwingt bei ihr immer mit. Sie braucht diese Distanz, um sich nicht selbst zu verlieren, sagt sie. „Bei meinen Konzerten gebe ich wahnsinnig viel von mir preis.“ Deswegen tritt sie mittlerweile nicht mehr auf kleinen Bühnen auf – zu wenig Abstand zum Publikum.
Plaschg ist sechzehn Jahre alt. Aufgewachsen ist sie in Gnas, einem Dorf in im Süden Österreichs mit nicht einmal 2000 Einwohnern. Die Schule hat sie vor einigen Monaten abgebrochen. Jetzt lebt sie in Wien und studiert dort an der
Akademie der bildenden Künste
in der Klasse für „erweiterten malerischen Raum“. Unter dem Namen
Soap & Skin
macht sie nebenher Musik am Computer. Seit im vergangenen Sommer ihr erstes Stück erschienen ist, wird sie von Journalisten verfolgt und kann sich vor Konzertanfragen kaum noch retten. Plaschg ist eine Sensation: Eine sechzehnjährige Frau, die mit ihren todtraurigen Melodien die Popwelt verzaubert.
Bisher gibt es kaum eine Hand voll Lieder von ihr, das erste vollständige Album ist noch nicht erschienen. Wenn man sich diese Lieder aber anhört, versteht man Plaschgs Angst vor dem allzu nahen Publikum sofort. Die Stücke sind leise, intim, atemberaubend. Manchmal ist da nicht viel mehr als ein Klavier und Plaschgs Stimme, die mit sich selbst im Chor singt. Es sind Gänsehautlieder, tief traurige elektronische Pop-Elegien. Vielleicht wirken sie so stark, weil hier verschiedenste Dinge aufeinander treffen: eine klassische Musikausbildung – Plaschg spielt Klavier und Geige – und das Knistern von elektronischer Musik, eine Vorliebe für die Dramatik des Komponisten
Sergej Rachmaninow
ebenso wie für das Pathos der Pop-Band
Xiu Xiu
. Und nicht zuletzt das enorme Talent und die schwermütige Seele einer jungen Frau.
Plaschg begann im Alter von sieben Jahren, Klavier zu spielen. Als sie vierzehn war, führte ihr älterer Bruder ihr an einem Nachmittag das Computerprogramm vor, mit dem er selbst Musik bastelte. Es war ein Schlüsselerlebnis: Bald darauf setzte sie sich allein vor den Rechner, und die Musik floss nur so aus ihr heraus. Sie nahm Klavier, Stimme, auch Geige auf und experimentierte mit den digitalen Möglichkeiten. Ihre ersten Stücke brannte sie auf CD und schickte sie irgendwann auch nach Berlin zum Elektroniklabel
Shitkatapult
. Wie sie ausgerechnet auf dieses, eher für rotzigen Techno bekannte Label kam? "Ich fand den Namen ansprechend."
Jetzt klebt ein großer Aufkleber mit diesem Namen quer über Plaschgs Umhängetasche. Ein Stück von der Demo-CD landete auf einer Shitkatapult-Platte. Das war im Sommer 2006. Danach folgten erste, wie Anja selbst sagt "schreckliche, total hilflose" Auftritte. Trotzdem wurde bald eine Zeitung in der Steiermark auf ihre Musik aufmerksam. Zeitschriften in Wien folgten, und schließlich bat das österreichische Jugendradio
FM4
zum Interview. Jetzt gilt Plaschg als das größte Talent seit der ebenfalls aus der Steiermark stammenden, in Wien lebenden und mit Stimme und Elektronik arbeitenden Musikerin
Gustav
. Alles wartet auf das erste Album. Dieses fertig zu bekommen, ist derzeit Plaschgs Lebensinhalt.
Plaschg sitzt mit hängenden, manchmal zuckenden Schultern im Kaffeehaus. Sie spricht mit leiser Stimme, die Hände versteckt sie unterm Tisch, außer wenn sie sich eine Zigarette anzündet oder einen Schluck von ihrem Pfefferminztee nimmt. Ihre Worte gehen in der Geräuschkulisse aus klappernden Untertassen und Gesprächen fast unter. "Ich glaube, mir so vieles noch nicht zutrauen zu können und zu dürfen," sagt sie. Ein typischer Plaschg-Satz. Ängstlich, fast ein wenig verloren und doch so, als wüsste sie genau, was sie will.
Plaschgs größtes Schutzschild ist ihr immer wieder aufblitzendes, entwaffnendes Lächeln. Als wollte sie damit sagen: Ich weiß, wie traurig ich aussehe, aber schau, es ist auch Fröhlichkeit in mir. Lachend sagt sie Sätze wie: "Meinen Tod stelle ich mir so vor: Ich erschieße mich mit einer Pistole, mache ein Loch in mein Herz. Aber das ist so pathetisch, ich will das gar nicht aussprechen."
Songs For The Death
soll der Titel ihres Albums sein. Plaschg erzählt von dem vermutlich einzigen fröhlichen Stück darauf - "mit Beats und Gesang, total harmonisch und flott".
Kinderzimmertod
heißt es, und am Ende knallt ein Schuss zwischen die Dur-Akkorde. "Ich kann diese fröhliche Stimmung irgendwie nicht ernst nehmen", meint sie. "Ich hab's versucht, aber ich schaff's nicht, das geht immer nur mit Sarkasmus.“ Kann man es sich in Todessehnsucht und jugendlichem Weltschmerz gemütlich machen? Sicher, aber gut geht es einem dabei vermutlich nicht.
Plaschg weiß, dass der Rummel um ihre Person nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch mit ihrem Alter zu tun hat. Das damit verbundene Problem ist ihr durchaus klar: "In einem Monat werde ich siebzehn. Das ist schon arg, denn ich muss mit dem Alter besser werden. Wenn ich zwanzig bin, ist das für die Medien sonst irgendwann zu langweilig.“
Noch vor kurzem war das einfacher, da war Plaschg allein mit ihrer Musik. "Ich habe völlig unbeeinflusst angefangen. Total naiv, aus dem Nichts heraus." Aber bald schon kam das Außen. Seither stellt Anja sich viele Fragen: Wie habe ich mich als Musikerin zu verhalten? Was wird nach so viel Lob von meinem Album erwartet? Was wollen die alle überhaupt von mir? "Ich weiß nicht", ist eine Floskel, die Anja immer wieder in die Gesprächspausen schiebt. Aber das Verblüffende ist, mit welcher Entschiedenheit sie bestimmte Dinge eben doch weiß.
"Musik oder Kunst zu machen, ist für mich masochistisch", sagt sie. "Das Arbeiten in völliger Isolation ist in vielen Phasen des Schaffens schmerzhaft und schrecklich, aber dann auch wieder so erfüllend. Ich habe mich dafür entschieden, total." Plaschgs Stimme ist so leise wie immer, wenn sie das sagt. Ihre Arme hängen schüchtern unter den Tisch. Aber sie versteckt sich in diesem Moment nicht hinter ihrem Lächeln. Sie kann und will sich derzeit gar nichts anderes vorstellen, als Musikerin zu sein. Sie hat sich für den Schmerz entschieden. Und für die Erfüllung. Das glaubt man ihr sofort.
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99 /
2007
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