internet governance
Wer regiert? ICH!
Das Internet ist eine große Chance, denn es umspannt die ganze Welt. Doch die Gesetze für das Internet werden von einzelnen Staaten gemacht – und die schränken das Potenzial des Netzes immer mehr ein. Was fehlt, ist eine Netzregierung
George Bush, Tony Blair und Angela Merkel sitzen in einem Flugzeug. "Sagt mal", fragt George Bush "wem gehört eigentlich das Internet?" Tony Blair überlegt nicht lang: "Die Frage ist völlig falsch. Sie müsste eigentlich lauten: Wer regiert das Internet?" Da meldet sich auch Angela Merkel zu Wort: "Ihr Jungs habt es immer noch nicht kapiert: Wer kontrolliert das Internet? – Das ist die entscheidende Frage!" Dann springen alle drei ohne Fallschirm ab.
Nicht lustig, dieser Witz? Stimmt. Es steckt zu viel Wahrheit darin.
Das Internet verbindet uns weltweit, unabhängig von den Orten, an denen wir leben. Nationalität, Herkunft, sogar Sprache – das Internet kann diese Unterschiede nicht auslöschen, könnte sie aber unwichtiger machen. Vor nicht langer Zeit, als noch Ronald Reagan, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl gemeinsam im Flugzeug saßen, war die Welt sehr viel kleiner. Jeder Staatschef konnte sein Land abschotten, dichtmachen – wenn er nur wollte. Manche bauten eine Mauer, ließen Briefe öffnen, zensierten die Zeitungen und störten Fernsehsender, die aus dem Ausland über die Grenze strahlten. Das Internet hat all dem ein Ende bereitet, glaubt mancher. Eine schöne Illusion.
Hier sind vier Meldungen der letzten Woche: China verbietet die Neueröffnung von Internetcafes , weil angeblich 13 Prozent der jugendlichen Nutzer internetsüchtig sind. In London soll al-Qaida versucht haben, einen der wichtigsten Internetknoten Großbritanniens zu sprengen , um so den kompletten Datenverkehr auf der Insel lahm zu legen. Hessens Innenminister Volker Bouffier hat gesagt, das Internet sei das "zentrale Tatwerkzeug" von organisierten Verbrechern . Und in Ägypten muss ein Blogger für vier Jahre ins Gefängnis , weil er die Muslime im Allgemeinen, seinen Präsidenten im Besonderen und den Propheten obendrein beleidigt haben soll.
Was uns diese Beispiele zeigen? Zunächst einmal, dass es mit dem stets verfügbaren Internet nicht so weit her sein kann. Hätten die Terroristen in London Erfolg gehabt, wären nicht nur die Internetverbindungen von und nach Großbritannien ausgefallen, sondern der Datenverkehr auf der ganzen Welt beeinflusst worden. Das Web mag uns virtuell und deshalb unzerstörbar erscheinen – doch Unterseekabel und Rechenzentren sind so real wie Brücken oder Wolkenkratzer. ( Siehe dazu: Wo ist das Netz? )
Aber das hat Hessens Innenminister gar nicht gemeint, als er das Internet als "Tatwerkzeug" bezeichnet hat. Er sprach von Attentätern, die sich im Netz organisieren, anstatt es zu zerstören: "Der islamistische Terrorismus nutzt – wie viele andere Straftäter – sehr intensiv die neuen Medien. Das Verbrechen nimmt im Internetzeitalter ständig neue Formen an, bei denen es sehr schwierig ist, mit den hochprofessionell vorgehenden Tätern Schritt zu halten." An dieser Äußerung zeigt sich (das ist Befund Nummer zwei), dass die große Leistung des Internet, nämlich Menschen weltweit miteinander zu verbinden, vielen Leuten Angst macht – unter ihnen sind überdurchschnittlich viele Sicherheitspolitiker. ( Siehe dazu: Wer hat Angst vorm Netz? )
Drittens: Zensur und Einschüchterung sind in vielen Staaten der Erde noch immer an der Tagesordnung. Und sie machen vor dem Internet nicht halt. Webseiten und Kommunikationsdienste werden gesperrt, Inhalte gefiltert und E-Mails mitgelesen. Und zugleich zeigt das Beispiel der verbotenen Internetcafés, wie hilflos die Regierungen dem Internet gegenüberstehen. Durch solche Maßnahmen kann Chinas Kommunistische Partei kritische Äußerungen nicht für immer und ewig unterbinden. (
Siehe: "Manche halten das für gefährlich"
)
Noch etwas wird an diesen Meldungen klar: Die Machtstrukturen, die das Internet umgeben, sind alt. Sehr alt. Die meisten Nationalstaaten haben ihre Wurzeln im vorletzten Jahrhundert, ihre Rechtsprechung stammt aus der Ära der Telegrafen und Postkutschen. Der technischen Entwicklung der vergangenen 30 Jahre können die Gesetzgeber nur mühsam folgen. Das gilt nicht nur für China oder zwielichtige Schwellenländer. Wenn deutsche Innenpolitiker die Verbreitung von gewaltverherrlichenden Spielen in Deutschland unter Strafe stellen wollen, beweisen sie damit, dass sie das Internet nicht verstanden haben. Sie denken noch immer in Staatsgrenzen, haben Zäune und Schlagbäume im Kopf. Wer das Internet nutzt, denkt dagegen im Netz und kauft Software längst nicht mehr im Pappkarton.
Bayerns Innenminister Günther Beckstein hat in einem Interview davon gesprochen, "wie Terror über Internet kommt" . Das funktioniert so: Im Ausland werden Hetzvideos ins Netz gestellt, die "dazu führen, dass deutsche Islamisten radikalisiert werden". Und die Lösung: "Überwachungsmaßnahmen, die auch Post- und Fernmeldeverkehr einschließen". Wie soll das funktionieren? Können bayerische "Cybercops" das gesamte Internet kontrollieren? Oder sollen sie verfolgen, wer in Deutschland welche Inhalte im Ausland abruft – sich also zum Beispiel Geiselvideos anschaut?
Würde man der Logik des Kontrollierens und Verbietens folgen, der einzige erfolgversprechende Weg wären weltweit geltende Gesetze, die in allen Ländern der Erde gleich durchgesetzt werden. Doch schaut man sich an, wie internationale Politik heute funktioniert, wird schnell klar, dass dieser Weg noch weit ist. Sei es der Konflikt um das iranische Atomprogramm, der Kampf gegen die Armut oder unser Umgang mit dem Klimawandel (alles Probleme, die die Menschheit unmittelbarer bedrohen, als Computerspiele oder Terroristen im Cyberspace) – eine funktionierende übernationale Gemeinschaft gibt es nicht.
Das ist nicht anders, wenn es um das Netz geht. Unter dem Stichwort "Internet Governance" luden die Vereinten Nationen in den Jahren 2003 und 2005 zum Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS, World Summit on Information Society ). An der zweiten Runde, die im November 2005 in Tunis stattfand, nahmen mehr als 17.000 Delegierte teil. Sie kamen aus 175 Ländern der Welt und verschiedenen Interessengruppen: Politiker, Vertreter der Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen waren dabei.
Die im Voraus gesteckten Ziele waren durchaus ehrgeizig. Die Vergabe von Internetadressen, die bislang von der amerikanischen Organisation Icann verwaltet werden, sollte auf demokratischere und vor allem internationale Füße gestellt werden. Die Teilnehmer wollten die digitale Kluft zwischen den armen und reichen Ländern der Erde schließen und darüber reden, wie der Ausbau der Infrastruktur beispielsweise in Afrika finanziert werden könnte. Die Frage, welche Rolle geistiges Eigentum im Netz spielt, sollte ebenso besprochen werden wie die Meinungs- und Informationsfreiheit. Und nicht zuletzt sollte der Masterplan für eine "Regierung" des Internet entworfen werden – also ein Gremium, das künftig die Arbeit des WSIS fortführen könnte.
Beschlossen wurde jedoch nicht viel. Die Icann verwaltet bis heute die Domainnamen, und die finanzielle Unterstützung für die armen Länder scheiterte am Widerstand der Industrienationen. Wie es um den Konflikt um das geistige Eigentum bestellt ist, weiß jeder, der schon einmal Mp3-Dateien aus dem Internet gezogen hat (und anschließend Post von der Staatsanwaltschaft bekam), oder Lieder, die bei iTunes gekauft wurden, mal eben auf einem anderen Gerät abspielen wollte (und dabei gescheitert ist). Ganz zu schweigen vom Recht auf freie Information und Meinungsäußerung in China, Vietnam, Iran, Weißrussland – die Liste ist lang.
Zwar wurde mit dem Internet Governance Forum (IGF) eine Nachfolgeorganisation initiiert, die ihren Sitz bei den Vereinten Nationen in Genf hat – doch seit der Gründungsversammlung im November 2006 ist es still geworden um das Thema Internetregierung. Das Forum hat lediglich beratende Funktion, wenn es um den Interessenausgleich zwischen den Staaten geht. Wie viele dieser Interessen im Spiel sind, zeigt allein die Linkliste auf der Webseite des IGF-Gipels – die lediglich diejenigen internationalen Organisationen und Gremien verzeichnet, die von den Veranstaltern als "useful" eingestuft wurden. Hinzudenken darf man sich noch die vielen Tausend Unternehmen, die wirtschaftliche Ziele im Internet verfolgen, und die 192 Staaten der Welt.
Während die "Internetregierung" diskutiert, werden anderswo vollendete Tatsachen geschaffen. China blockiert missliebige Webseiten , in Russland gehen Justiz und Geheimdienste gegen Internetnutzer vor . Immer wieder werden weltweit Blogger und Journalisten aufgrund ihrer Tätigkeit im Netz verhaftet. Die Europäische Union verlangt von ihren Mitgliedsstaaten, Gesetze zu schaffen, die eine umfassende Aufzeichnung von Telefon- und Internetverbindungsdaten erlauben. Mit dem Argument, der neuen Terrorgefahr sei nur dadurch zu begegnen, dass die Freiheit eingeschränkt wird, wird das Post- und Telekommunikationsgeheimnis beschnitten – ein Grundrecht, das eigentlich längst als unbestritten galt.
Natürlich kann man einwenden, dass es seit 1948 eine Erklärung der Menschenrechte gibt, die für alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verbindlich ist. Und dass die Existenz dieser Konvention noch längst nicht bedeutet, dass sie auch überall eingehalten wird. Doch mit dem Internet gibt es zum ersten Mal in der Geschichte ein Medium, das zumindest theoretisch den gleichberechtigten Austausch von Informationen zwischen allen Menschen der Erde erlaubt – und somit auch eine gleichberechtigte Wahrnehmung von Rechten. Bis hin zu weltweiten Wahlen. Das ist eine große Chance.
Aber im Moment sieht es eher so aus, als könnte ein anderes Szenario Realität werden. Die Staatschefs aller Länder der Erde sitzen in einem Flugzeug. "Wer kontrolliert eigentlich das Internet?", fragt einer von ihnen. Daraufhin rufen 192 Stimmen: "ICH!"
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11 /
2007
ZEIT online