Comic
Zielsicher geschmacklos
Mit Mamba gibt es nun auch in Deutschland eine Comiczeitung. Die erste Ausgabe ist vor allem eines: bunt gemischt
Die Idee kam Andreas Michalke in der Türkei: Am Kiosk in Istanbul entdeckte der Berliner Comiczeichner Zeitungen, randvoll mit Bildergeschichten und verbreitet in Zehntausenderauflagen. Von einer solchen Öffentlichkeit wagen Zeichnerinnen und Zeichner in Deutschland nicht einmal zu träumen. Auch wenn im Moment immer mehr anspruchsvolle Comics erscheinen: Auflagen über 2000 sind eine Seltenheit.
Das muss nicht so sein, fand Michalke und machte sich auf die Suche nach Mitstreitern, um eine vergleichbare Comiczeitung in Deutschland herauszubringen. Das Resultat nennt sich
Mamba
, eine erste Nummer gibt es schon. Für einen Euro ist sie seit einigen Tagen in diversen Berliner und Hamburger Szeneläden zu haben.
Gleichzeitig erscheint das achtseitige Comicblatt als Beilage der Jungle World . Die linke Wochenzeitung mit Sitz in Berlin bietet der Comicszene schon seit Jahren ein Forum – eine große Ausnahme in der hiesigen Medienlandschaft. Zeichner wie Philip Tägert alias FIL , Olav Korth alias 18metzger oder Leo Leowald sind dort regelmäßig in der Rubrik Junk Word vertreten – ebenso wie Andreas Michalke und die Mamba- Mitredakteurin Minou Zaribaf .
Mit einer Ausnahme, dem Kölner 18metzger , sind diese Zeichner allesamt auch in der neuen Comiczeitung vertreten – zusammen mit weiteren bekannten Namen aus der deutschen Comicszene wie Sascha Hommer und Arne Bellstorf . Insgesamt 23 Zeichnerinnen und Zeichner haben die Mamba -Herausgeber in ihrer ersten Nummer versammelt und entsprechend heterogen ist die Form und Qualität der Beiträge. Grafisch reicht das Spektrum von flächigen, ruhigen Bildern über Cartoonhaftes bis hin zu bewusst Dilettantischem. Auch der Humor ist mal verschroben und fein, mal platt.
Insgesamt ist das Ergebnis etwas beliebig geraten. Eine strengere Auswahl hätte gut getan. Gleichzeitig ist die – durchaus charmante – punkige Art des Produktes wohl beabsichtigt. Schließlich erinnert sich Michalke gern an den schroffen, zielsicher geschmacklosen Charakter der türkischen Zeitungscomics – eine Tradition, die man auch aus der unabhängigen amerikanischen Comicszene seit den sechziger Jahren kennt.
Schwerer als die Beliebigkeit wiegt, dass die viele der Comics dem politischen Anspruch des Projektes wenig gerecht werden. Das Thema der ersten Ausgabe – „Unterschicht“ – ist bereits so oft debattiert worden, dass sich dazu nur schwer etwas Neues und wirklich Radikales sagen lässt. Die Künstler scheinen dieser Aufgabe nur bedingt gewachsen zu sein: Viele Beiträge begnügen sich mit dem nahe liegenden – handeln vom Selbstmitleid des Künstlers, Biertrinken vor dem Fernseher oder der Misere am Geldautomaten.
„Es stimmt, dass sich deutsche Comiczeichner kaum politisch positionieren“, bestätigt Minou Zaribaf, „Trotzdem können Comics politisch sein. Dafür gibt es genug Beispiele in der unabhängigen Comicszene der sechziger bis achtziger Jahre, die Werke von Joe Sacco, Robert Crumb , Dennis P. Eichhorn. Dass Comics nicht unbedingt nur mit Spaß und Gags gleichzusetzen sind, zeigt auch die gesamte autobiografische Palette, die für Andreas Michalke und mich ein großes Vorbild ist. Hier geht es um Armut, Missbrauch, Gewalt, Drogen, Kultur.“
Schon in den Neunzigern haben Zaribaf und Michalke an diese Tradition angeschlossen. In ihrer bemerkenswerten Heftreihe Artige Zeiten veröffentlichten sie autobiografische Berichte über die Tristesse des Jobbens oder Begegnungen mit Neonazis. Seit einigen Jahren erscheint in der Jungle World Michalkes Strip Bigbeatland – eine Seifenoper in Comicform über WG-Probleme, Linksradikalismus und freies Radio (eine Buchausgabe ist soeben bei Reprodukt erschienen).
In den letzten Jahren gab es bereits vereinzelte Versuche, das journalistische Potential von Comics zu testen – zum Beispiel mit Comic-Reportagen. Eine Frage, die sich eine politische Comic-Zeitung stellen muss, ist: Welchen Mehrwert bietet das Format Comic? Was kann es, das Kommentare, Glossen oder Interviews nicht können? Gerade in der alternativen US-Presse, zum Beispiel dem New Yorker Wochenzeitung Village Voice , finden sich zahlreiche Versuche dieser Art. Sie brauchen allerdings ihren Raum. Nicht alles lässt sich mit acht oder zehn Bildern erzählen.
„Eine Comiczeitung muss kein reguläres Zeitungsformat kopieren“, widerspricht Minou Zaribaf: „Es geht einfach um ein schnelleres, preiswerteres Format als zum Beispiel das Comicalbum. Ich habe von vielen gehört, dass gerade diese Kürze eine Herausforderung darstellt und eben auch neue Arten von Erzählungen entstehen lässt.“
Tatsächlich ist es den Mamba -Herausgebern gelungen, einige sehr schöne Kurzs-Strips zu sammeln, Comicstreifen, die mit wenigen Bildern auskommen. Diese Kurzgeschichten, die in der Regel in Zeitungen erscheinen und hierzulande nur wenig Tradition haben, sind die Urform des Comics. Sie leben von der Regelmäßigkeit ihres Erscheinens: täglich ein Strip, sonntags eine ganze Seite. So sind etliche Klassiker entstanden – von Krazy Kat bis zu den Peanuts .
Diese kurzen Formate sollen auch weiterhin der Kern der Comiczeitung bleiben. Trotzdem kann Zaribaf sich vorstellen, in der Zukunft einem Zeichner pro Ausgabe mehr Raum zu bieten. „Für die erste Ausgabe war uns aber wichtig, so viele unterschiedliche Zeichnerinnen wie möglich zu publizieren – mit verschiedenen Verlagshintergründen, Stilen und Erzählweisen. Eine Kooperation dieser Art hat hier genauso gefehlt wie die Comiczeitung am Kiosk.“ Diese weiterhin zu ermöglichen, daran will sie gemeinsam mit Michalke und dem Dritten im Bunde, Hannes Niepold von der Agentur
Comicstills
, weiterarbeiten. Alle zwei Monate soll
Mamba
demnächst erscheinen – später sogar einmal im Monat. Dann mal weitersehen.
Penguen
, die türkische Comiczeitung, die es Andreas Michalke besonders angetan hat, erscheint schließlich wöchentlich.
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99 /
2007
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