Sieben Tage

Die Pleitegeier

Eine Meldung geht um die Welt: Die Vereinten Nationen beschließen, dass Staaten, die mit mehr als 100 Milliarden US-Dollar bei ihren Gläubigern in der Kreide stehen, für Bankrott erklärt werden – und Insolvenz anmelden müssen, mit allen Konsequenzen. Denn Geldgeber wie die Weltbank, der IWF und Co. haben nicht ewig die Spendierhosen an; auch ihre Großmut hat einmal ein Ende. Die Ausschlachtung Argentiniens wird zum Pilotprojekt.

Von Ella Carina Werner

Montag Die Welt schaut gen Argentinien. Das hält dem Blick nicht lange stand und meldet, ultimativ überschuldet, als erster Staat der Weltgeschichte Insolvenz an. Das gesamte Vermögen des Landes wird zwangsverwertet, um die Gläubiger zu befriedigen. Hätte Argentinien nicht einfach die nötige Geldmenge nachdrucken können? Das Duplizieren von Geld ist doch die schönste Freude und Fähigkeit, die ein Staat hat! Aber eine Dollar-Druckerei besitzt Argentinien nicht. Nur eine für Pesos, und ein Nachdruck derer würde die eigene Währung vollends entwerten… Die Staatsmänner von Buenos Aires haben an solchen Rettungsversuchen eh kein Interesse: Sie türmen kollektiv nach Kolumbien. IWF, Weltbank, Interamerikanische Entwicklungsbank , Pariser Club und viele weitere Gläubiger lecken sich derweil die Finger. Denn Argentinien hat zwar keine Moneten, lässt sich aber wunderbar ausschlachten.

Dienstag Bevor der Startschuss für das Insolvenzverfahren fällt, muss ein Insolvenzgericht her. Nichts leichter als das. Gerade fertig gebaut, wird das internationale Insolvenzgericht in Odessa feierlich eröffnet: Mit Feuerwerk, der ukrainischen Staatskapelle und der Premiere des Lustspiels "Schulden und Sühne". Den krönenden Abschluss bildet ein Wettbewerb: Jeder Festgast lässt einen Gasluftballon mit Namensschild steigen, Gazprom sei Dank. Traumpreise winken! Die Abermillionen bunten Ballons werden am Himmel immer kleiner und kleiner, bis der Smog sie ganz verschluckt.

Mittwoch Als internationaler Insolvenzrichter wird Donald Henry Rumsfeld gewählt. Seine erste Amtshandlung: Die Abschaffung aller lindernden Maßnahmen, wie beispielsweise der Restschuldbefreiung . Ein Ballon landet in Dniprodserschynsk.

Donnerstag Das Gericht leitet das Insolvenzverfahren unverzüglich ein. Zunächst wird die Vermögensmasse ermittelt, bestehend aus all dem, was dem Schuldner gehört – sei es transportabel oder immobil, in Staatsbesitz oder Privathand, tot, lebendig oder gar human: Denn auch die 40 Millionen argentinischen Staatsbürger sind jetzt Teil der Vermögensmasse. Lediglich Gegenstände in Fremdeigentum, wie europäische Backpacker und Alt-Nazis, sondert der Insolvenzverwalter aus der Masse sofort aus und gibt sie an die Besitzer zurück. Ein Ballon wird in den albanischen Alpen gesichtet.

Freitag Die Gläubigerversammlung wird in Odessa einberufen: durch den frisch gekürten Rechtspfleger Ronald Barnabas Schill , der Südamerika nach diversen Aussteigerversuchen wie seine Westentasche kennt. Zeremoniell verliest Donald Henry Rumsfeld die Liste mit der Vermögensübersicht: 102 Seehäfen, 37 Nationalparks, 9.000 Steakrestaurants, 25 Mio. Rinder, 12 Mio. Tangotänzerinnen, 10.000 Gauchos, 1 Diego Maradona, 8.000 Zackenhirsche, 4.000 Magellanpinguine… Angesichts der stattlichen Liste fällen die Gläubiger eine ungewöhnliche Entscheidung: Die Vermögensmasse soll nicht zwangsversteigert und der monetäre Erlös unter den Gläubigern aufgeteilt werden, sondern diese sacken die Vermögensgegenstände direkt ein. Die USA schnipsen mit dem Finger, wollen Argentinien noch rasch aufkaufen, zum 51. US-Staat machen und in "Fireland" umbenennen. Für eine Übernahme ist es jedoch zu spät. Ein Ballon landet in Dubai, aber sein Namensschild hat der Wind verweht.

Samstag Ronald Barnabas Schill nimmt die Forderungsanmeldungen der Gläubiger entgegen und trägt sie in die Forderungstabelle ein: Die patagonischen Gletscher für den Pariser Club, der Antiquitätenmarkt von San Telmo für einen Kredithai aus Dallas… Ein Streit entbrennt zwischen dem IWF und der Weltbank, wer Gabriela Sabatini einheimsen darf. Und wer bekommt eigentlich die 2,78 Mio. Quadratkilometer Grund und Boden? Oder werden die verkauft? An Nordkorea, für Atomtests? An Greenpeace, für Regenwälder? Ein Ballon erreicht die indische Ostküste.

Sonntag Die gesamte Vermögensmasse Argentiniens wird aufgeteilt, eingepackt, abtransportiert. "Ganze Arbeit", sagen Donald und Ronald im Chor und geben sich Fünf. Bei blutigen Rindersteaks, Mendoza-Wein und nackten Tango-Tänzerinnen treffen sie sich am Abend zur Feedback-Runde: Lief alles optimal ab? Was könnte man nächstes Mal noch besser machen? Um Mitternacht erreicht ein Ballon den Südpol: Fjodor Jerofejew, St. Petersburg steht auf dem Namensschild. Er gewinnt einen Magellanpinguinpärchen für seine Datscha.

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48 / 2006
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