Minderheiten

Linksnationalpunkfaschist

Katalonien ist mehr als eine Region in Spanien – fast schon eine Nation in der Nation. Und immer, wenn es Wahlen gibt, treten seltsame Allianzen zu Tage. Wie in dieser Woche.

Von Isabel Exner

Spanien hat gewählt. Ganz Spanien? Nein, nur eine kleine Region im Nordosten des Landes, an der Grenze zu Frankreich. Es waren keine normalen Kommunalwahlen, denn vieles ist in Katalonien ein bisschen anders.

Ein linker Nationalist sein? Das ist hier kein Widerspruch. Anders als in Deutschland, wo spätestens seit dem zweiten Weltkrieg die Rechten für patriotische Hochgefühle zuständig sind, gibt es in Katalonien viele Nationalisten, die sich selbst als extrem links bezeichnen. Wenn am Ende eines Punkkonzerts in der alternativen Szene Barcelonas die Band und das Publikum gemeinsam die katalanische Nationalhymne anstimmen, wundert sich niemand. Das ist normal.

Die Wahl hat übrigens die bürgerlich-nationale Partei Convergencia i Unió gewonnen. Sie vertritt in Katalonien die christlich-konservative Rechte, die im übrigen Spanien durch die Partido Popular repräsentiert wird. Doch die Rechten, die in Madrid eine mächtige Volkspartei sind, haben in Barcelona kaum Anhänger – die Katalanen fühlen sich vom spanischen Staat unterdrückt. Der raubt ihnen ihre kulturellen und wirtschaftlichen Rechte, glauben sie. Convergencia i Unió füllt diese Lücke.

Zweitstärkste Kraft wurden gestern die – katalanistischen – Sozialisten; gleich danach kommen die linken Separatisten von der Esquerra Republicana de Catalunya (ERC). Sie wollen den Freistaat Katalonien.

„Unser Nationalismus ist transversal“ , erklärt Francesc, 38, der seinen Tag als Wahlhelfer in einem Wahllokal in Barcelona verbracht hat. „Es ist der Nationalismus eines Volkes, das immer Opfer gewesen ist. Noch bis vor 30 Jahren wurden unter der Diktatur von Franko die katalanische Sprache und Kultur brutal unterdrückt.“ Für die kommende Legislaturperiode wünscht sich Francesc Verbesserungen im Gesundheitssystem. Seine Stimme für die ERC sieht er vor allem als Votum für mehr Unabhängigkeit.

In den vergangenen drei Jahren wurde in dieser Hinsicht zwar viel erreicht , doch vielen ging der mit der Zentralregierung ausgehandelte Deal (mehr wirtschaftliche und kulturelle Eigenständigkeit) nicht weit genug.

Auch Aurea hat deshalb wieder für die ERC gestimmt. Sie findet es ungerecht, dass ein Großteil der katalanischen Steuergelder immer noch nach Madrid fließt und von dort auf das ganze Land verteilt wird. „Dabei leisten doch die Katalanen einen viel größeren Beitrag als andere, ärmere Regionen Spaniens“, sagt Aurea.

Die Frage des regionalen Nationalismus in Spanien ist sensibel. Natürlich wird Katalonien sofort mit dem Baskenland verglichen, wo die Unabhängigkeitsbestrebungen in eine jahrelange Spirale der Gewalt ausgeartet sind. Auch dort sind die Autonomiebestrebungen historisch in der linken, antifaschistischen Bewegung und im Widerstand gegen die Frankodiktatur begründet.

So sagt es auch der Journalist Llibert Ferri, der ebenfalls für die ERC gestimmt hat, als er das Wahllokal verlässt: „Als Faschist wird man hier eher mal beschimpft, wenn man den Katalanismus kritisiert. Weil der im Namen gesamtspanischer Interessen unterdrückt wird.“

Mireilla ist genervt vom Katalanismus in allen Gesellschaftsschichten und Parteien. Die Friseurin gehört zu dem kleinen Prozentsatz der katalanischen Bevölkerung, die sich als Spanier sehen. Sie ist in Barcelona aufgewachsen, kommt jedoch nicht aus einem katalanischen Elternhaus. Solche „unechten“ Katalanen nennen sie hier „charnegos“.

Mireilla spricht gern Spanisch und will sich nicht vorschreiben lassen, welche ihrer beiden Muttersprachen sie verwendet. Es ärgert sie, dass sie gesetzlich verpflichtet ist, an ihrem Laden neben der spanischen auch die katalanische Geschäftsbezeichnung anzubringen. Deshalb hat sie sich einen Trick überlegt, die in ihren Augen unsinnige Auflage zum Schutz des Katalanentums zu umgehen. „Le petit Atelier“ hat sie an ihren Friseursalon geschrieben. Auch im Privatleben will sie mit dem Nationalismus nicht viel zu haben. „Ich habe nur wenige katalanistische Freunde“, erzählt sie. Und mit denen redet sie erst gar nicht über das ewige Thema.

Für Menschen wie Mireilla, die den verkrampften Nationalismus leid sind und sich wünschen, dass die Politik sich anderen Problemen zuwendet, ist bei dieser Wahl eine neue Partei angetreten. Die „Cuitadans“ haben sich erst vor wenigen Monaten gegründet und mit ihrer Kritik an den etablierten Parteien auf einen Schlag 3 Prozent der Stimmen errungen. Sie sind überraschend ins katalanische Parlament eingezogen. Die „Cuitadans“ haben bereits angekündigt, dort Spanisch zu sprechen. Das gab es seit Jahren nicht mehr.

Wer am Ende in Katalonien regiert, werden die Nationalismusverweigerer nicht beeinflussen können. Im Gegenteil, vermutlich werden die Separatisten zum Zünglein an der Waage in der Koalitionsfrage. „Unser wichtigstes politisches Anliegen ist die katalanische Sache“, sagte deren Vorsitzender Carod Rovira – und hat sich mit dieser Aussage sämtliche Optionen offen gehalten. Zumindest darin sind sich nämlich alle anderen einig.

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45 / 2006
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