Asylpolitik

Ein kranker Tag

Am Sonntag haben die Schweizer mit großer Mehrheit eines der härtesten Asylgesetze Europas beschlossen. Damit habe ich nichts zu tun. Protokoll eines fiebrigen Nachmittags.

Aus der Schweiz von Kaspar Surber

Sommergrippen nähern sich spätnachmittags. Sie pirschen sich an das verschwitzte T-Shirt. Begleiten einen abends durch verrauchte Bars. Und schon am nächsten Morgen kommt man  nicht mehr aus dem Bett. Vielleicht ist das aber ganz gut so. Vielleicht möchte ich an diesem Sonntag gar nicht hinaus in die Schweiz.

Denn heute ist Volksabstimmung über das neue Ausländergesetz. Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern sollen nur noch eine Arbeitserlaubnis bekommen, wenn sie "Spezialkräfte" sind, also von Nutzen für die Volkswirtschaft. Zugleich soll das Asylgesetz verschärft werden: Asylverfahren werden nur noch eingeleitet, wenn die Flüchtlinge innerhalb von 48 Stunden ihren Pass vorlegen. Die Abschiebehaft soll von 9 auf bis zu 18 Monate verlängert werden. Und als zusätzliches Druckmittel wird eine Beugehaft eingeführt. Beobachter sprechen von einem der härtesten Asylgesetze Europas.

Um 13 Uhr stelle ich das Radio an. Die ersten Kantone sind ausgezählt. Glarus und Nidwalden stimmen mit 80% zu. Appenzell mit 72%, der Aargau mit 76%, der Thurgau mit 78%.

Zum Referendum ist es gekommen, weil Flüchtlingsorganisationen gegen die Gesetzesreformen der Regierung Einspruch erhoben haben. Der Einwand:  Gerade weil sie ohne Rechte sind, werden viele Asylsuchende erst in die Illegalität getrieben - mit allem, was dazu gehört. Drogenhandel zum Beispiel. Das neue Gesetz bedeutet den Abschied der Schweiz von ihrer humanitären Tradition, sagen die Gesetzesgegner. Ihrer Unterschriftensammlung schlossen sich die linken Parteien und die Kirchen an. Wirtschaftsführer gründeten ein bürgerliches Unterstützer-Komitee. Rapper und Rocker spielten einen Sampler ein. Ein Hauch von Volksbewegung wehte durchs Land. Die Prognose: Wir schaffen wohl kein "Nein" zu den neuen Asylgesetzen – aber das "Ja" wird nur ein knappes werden.

Es ist kurz nach 14 Uhr, SMS prasseln aufs Handy: "Noch schlimmer als befürchtet", schreibt einer meiner Freunde. "Ich wandere aus", ein anderer. "Debakel: Nicht mal Basel ist auf der guten Seite", "Fuck. Sehr schlecht". Und: "Der Milliardär ist kaum noch zu stoppen! Xenophobe Egoisten haben das Sagen. Schlimmer als in den 70ern."

Mit "Milliardär" ist Justizminister Christoph Blocher gemeint, er ist der Initiator des neuen Gesetzes. Nach der Parlamentswahl 2003 war der Chef des Chemieunternehmens EMS als  Vertreter der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei (SVP) in den Bundesrat gewählt worden. An Popularität gewann er durch seine scharfe Rethorik gegen Ausländer. Die Schweizer sind nicht  offen fremdenfeindlich - das tritt erst bei Volksabstimmungen zutage. So wie heute.

Im Radio wird das Gesamtresultat durchgegeben: 68 Prozent stimmen für die Verschärfung, 32 dagegen. Ein Politologe erklärt, dass im Resultat nur geringe Unterschiede zwischen West- und Deutschschweiz, und zwischen Stadt und Land festzustellen seien. Er sagt das, als wäre er in seiner Funktion als Wissenschaftler davon fasziniert - von dem, was Schweizer und Ausländer in Zukunft trennen wird, spricht er nicht.

Irgendwann nach 18 Uhr im Fernsehen: Christoph Blocher tritt vor die Kameras. Nein, er fühle sich nicht als Sieger, da müssten schon andere Erfolge her. Welcher Art diese sein mögen, nachdem die Schweiz in den letzten drei Jahren immer weiter nach rechts gerückt ist? "Jetzt erst einmal schlafen", schreibt einer per SMS. Soll gut gegen Fieber sein.

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32 / 2006
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