FEMINISMUS DEBATTE

Dr. med. Mama

Finja Kraft ist keine kinderlose Akademikerin. Im Gegenteil: Die Studentin erwartet ihr zweites Kind. Mutterschaft und Medizinstudium zu vereinen ist aber schwer, wenn man allein ist.

Von Rabea Weihser

Luis kann jetzt schon alles allein. Nur Treppen steigen nicht, behauptet der Zweijährige und wirft sich heulend auf den Boden. Bis in die Wohnung im Dachgeschoss sind noch viele Stufen zu nehmen. Das ist auch für seine Mutter kein Vergnügen. Erschöpft vom langen, heißen Tag überredet sie ihren Kleinen zum Laufen. Oben gibt es Abendbrot.

Finja Kraft* ist 26 Jahre alt, alleinerziehend und studiert Medizin im sechsten Semester. In einem halben Jahr bekommt sie ihr zweites Kind. Eigentlich ist sie eine energische junge Frau. Sportlich, gebräunt, ungeschminkt. Dennoch sagt sie: "Ich fühle mich, als wäre ich doppelt berufstätig. Obwohl ich ja streng genommen gar nicht arbeite. Es gibt Leute, die sind entweder mit der Kindererziehung oder mit einem Medizinstudium schon überfordert. Ich muss irgendwie beides hinkriegen."

Das Studentenleben ist schön. Kommt aber ein Familienleben dazu, hilft nur Spontanität und Organisationstalent. Jeder Tag ist anders, je nach Stundenplan. Heute Unterricht am Krankenbett, morgen ein Blockseminar über angeborene Herzfehler. Eine Regel versucht Finja trotz alledem zu befolgen: "Luis bleibt nicht länger als sechs Stunden im Kindergarten." Damit setzt sie sich bewusst unter Druck um effektiver zu arbeiten. Zum Lernen bleiben ihr die Pausen zwischen den Kursen und die späten Abendstunden, wenn Luis im Bett ist.

Meistens verbringt sie den halben Tag mit ihrem Sohn. Er will Fußball spielen, Höhlen bauen oder Wände bemalen. Sie macht mit und besorgt parallel den Haushalt. Ruhige Momente, in denen weder Luis noch das Studium ihre volle Aufmerksamkeit fordern, sind selten.

Sie ist gern Mutter, aber etwas weniger Stress würde ihr gut tun. In den letzten zwei Jahren war sie ständig krank. Mal schmerzte der Magen, mal die Mandeln, und immer wieder war sie erkältet. "Jetzt ist mein Akku leer", sagt sie. Trotzdem muss es weitergehen.

Drei Jahre ist es her, da stand sie plötzlich vor der Entscheidung, ob sie das Kind wollte. Sie hatte gerade mit dem Studium begonnen. Dann stürzte sie sich in das Abenteuer ihres Lebens. "Studentinnen sollten so früh wie möglich Kinder bekommen", hatte sie sich überlegt. "Im Job hat man doch nie wieder so viel Zeit wie im Studium. Und wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, kann man beruflich durchstarten. Studierte Mütter sind fachlich und sozial einfach bestens programmiert." Ob das auch Personalchefs so sehen?

Luis’ Vater hat sein Leben ganz anders geplant. Erst Karriere, dann Kinder. Mit einer anderen Frau. Der 27-Jährige hat sich auf den Posten des Reproduktionsassistenten zurückgezogen und besucht seinen Sohn selten. Seine Unterhaltszahlungen für Luis übernimmt das Jugendamt.

Braucht Finja Kraft Hilfe? "Mir ist fast nicht zu helfen", sagt sie. Mit 1200 Euro im Monat kommt sie knapp hin. Die eine Hälfte zahlen ihre Eltern, die andere der Staat. Dazu gibt es noch einen ganztägigen Kindergartenplatz. Ohne den privaten Zuschuss wäre sie aufgeschmissen, Zeit für einen Nebenjob bleibt ihr nicht. "Es ist hart als Alleinerziehende. Zum zweiten Kind habe ich mir jetzt klugerweise einen Mann gesucht", sagt sie und lächelt, "ohne den wäre das nicht zu schaffen."

Wenn Luis mal einen Nachmittag bei Spielkameraden bliebe, könnte seine Mutter durchatmen. Aber andere Eltern hat sie im Kindergarten noch nicht kennen gelernt. Die Berufstätigen liefern ihre Sprösslinge ab und rauschen winkend zur Arbeit. Was ihr sonst noch fehlt? "Eine günstige, kindgerechte Wohnung und etwas mehr Bezuschussung. Für alles andere in meinem Leben habe ich mich schließlich bewusst entschieden." Bald will Finja als Kinderärztin arbeiten. Noch drei Jahre durchhalten, dann geht es los.

*Name von der Redaktion geändert

Auch wichtig:

Zwischen Club und Kita - Wie kommt man als junge Mutter klar?

Mund halten, Eva! - Der Eva-Herman-Schwerpunkt vom Zuender

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

32 / 2006
ZEIT online