Videoüberwachung
Winke winke, Polizei
Großbritannien hat 4,2 Millionen Überwachungskameras. Gegen Verbrechen und Terrorismus hat das bisher nichts genutzt.
Heute Morgen bin ich mit Muskelkater aufgewacht. Mein Oberarm schmerzte, als ich versuchte, die Gardine zu öffnen. Gestern habe ich einen Selbstversuch gemacht und auf dem Weg durch die Stadt in jede Kamera gewunken, die ich entdecken konnte. Gezählt habe ich sie irgendwann nicht mehr, aber statistisch werde ich in Großbritannien 300 Mal pro Tag gefilmt. Das ist Wahnsinn, dachte ich am Anfang. Jetzt merke ich es schon gar nicht mehr.
Und sicherer fühle ich mich dadurch auch nicht. Als meine Mitbewohnerin letzten Monat ausgeraubt wurde, war leider keine Kamera in der Nähe. Ihre Tasche verschwand mit den 15-jährigen Halbstarken. Die Polizei machte ihr wenig Hoffnungen, die Tasche jemals wieder zu sehen. Dabei hängen 20 Prozent aller Überwachungskameras weltweit in Großbritannien.
Es begann während der 70er und 80er Jahre als Antwort auf die Anschläge der IRA. Nachdem ein Bericht des Innenministeriums (" CCTV : Looking Out For You") die grauen Kästen zur Erfolgsgeschichte erklärt hatte, wurde das System Mitte der 90er massiv ausgebaut. Drei Viertel seines Präventionsbudgets hat das britische Innenministerium zwischen 1996 und 1998 für Videoüberwachung ausgegeben. Die Kriminalitätsrate verringerte sich im gleichen Zeitraum um 5 Prozent. Eine Parallelstudie zeigt, dass allein bessere Straßenbeleuchtung die Zahl der Verbrechen um bis zu 20 Prozent reduzieren kann. Doch inzwischen gibt es landesweit geschätzte 4,2 Mio Kameras.
Der Effekt ist umstritten: Selbst die Polizei bewertet die Videoüberwachung mit einem klaren "maybe". Und Experten sind sich einig, dass es bei geplanter Kriminalität kaum einen wirksamen Schutz gibt. In den Städten haben die Kameras dazu geführt, dass sich die gefährlichen Viertel in schlecht überwachte Randbezirke verlagerten. Und auch die Bombenanschläge vom Juli 2005 konnten nicht verhindert werden – lediglich die Identifizierung der Täter wurde durch die Auswertung der Videos einfacher. Ähnlich wie jetzt in Koblenz und Dortmund, wo Kameras nichts hätten verhindern können, wenn die Bomben funktioniert hätten.
Dazu kommt: CCTV ist sehr teuer. Die Technik muss gewartet werden, das Personal ausgebildet und entlohnt. Kameras funktionieren nur, wenn es hell ist – die zu überwachenden Bereiche müssen also auch nachts beleuchtet werden. Das Westminster City Council schätzt die Investitionskosten für eine Kamera auf etwa 20.000 Pfund, die jährlichen Betriebskosten machen noch einmal 12.000 Pfund aus.
Und der ideelle Preis ist noch höher. Von meinem Fenster aus kann ich den Markt vor unserer Tür sehen, wo die gesamte Straße von Kameras erfasst wird. Jeden Tag beginnt meine persönliche Big-Brother-Show von vorn – nur dass ich am Ende nicht 100.000 Pfund gewinnen kann. Besser, ich lasse die Gardine zu.
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34 /
2006
ZEIT online