Attac
Schnell verglüht
Erst war Attac die Hoffnung, dann der Lieblingsfeind vieler Linker. Heute ist Attac den meisten egal. Kann der G8-Gipfel in Deutschland das ändern?
Alter, waren die mal cool. Globalisierungsgegner: DER Medienhype Anfang des Jahrtausends. Kein Schulhof-Antifa kam umhin, über sie zu reden. Keine Buchhandlung konnte darauf verzichten, einen Büchertisch mit "No Logo" und "Schwarzbuch Markenfirmen" , den Standardwerken der Bewegung, aufzustellen. "Bravo" und "Bild"-Zeitung waren wahrscheinlich die einzigen Medien, die es schafften, niemals einen einzigen Artikel über die populärste Gruppe der Bewegung abzudrucken: Attac . Als einer der Urväter der Anti-Globalisierungsbewegung in Europa gilt Ignacio Ramonet. Der Chefredakteur der französischen Monatszeitung "Le Monde Diplomatique" forderte Ende 1997 die Gründung einer Interessengruppe für stärkere Unternehmensbesteuerung. Einen möglichen Namen lieferte er seinen Lesern freundlicherweise gleich mit: "Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger". Was in der sinngemäßen deutschen Übersetzung sperrig klingt, hat auf Französisch eine attraktive Abkürzung: A.T.T.A.C.
Seit 2000 gibt es das Netzwerk auch in Deutschland, seit Juli 2001 ist es berühmt. Damals kam es während des Gipfeltreffens von Russland und den sieben größten Industrienationen in Genua zu massiven Protesten . Nachdem bereits einen Monat zuvor beim EU-Gipfel in Göteborg Demonstrationen eskaliert waren, wurde Genua wie eine Festung abgesichert: 10 000 Polizisten und 5 000 Soldaten waren laut konservativen Schätzungen im Einsatz. Die meisten der 200 000 Demonstranten protestierten friedlich für Schuldenerlass und eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte. Die Nachrichtenbilder waren jedoch dominiert von den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, die ihren tragischen Höhepunkt in der Tötung des Aktivisten Carlo Giuliani fanden.
Dem Kult, den man in Teilen der Öffentlichkeit mittlerweile um die Bewegung betrieb, tat das keinen Abbruch. Eher im Gegenteil: Die Heldengalerie der Bewegung hatte ihren eigenen Benno Ohnesorg und wurde fortan eifrig mit der legendären 68er-Bewegung verglichen. Und die Bilder der Polizeigewalt verliehen den Globalisierungskritikern eine quasi-revolutionäre Aura. Attac Deutschland schaffte es wie keine andere Organisation, von den Ereignissen in Genua zu profitieren. Die Mitgliederzahl stieg innerhalb von etwas mehr als einem Jahr von 500 auf 10 000. Globalisierungskritik wurde Popkultur.
"Police, police – don’t hit me, please!" höhnte die schwedische Band "Randy" nach dem Gipfel in Göteborg, während ihre Kollegen von "The (International) Noise Conspiracy" krakelten: "Just give me a black mask to lose control" .
Während die Ästhetisierung des Demokrawalls unter Punkrockern kaum überraschte, druckte das von Bryan Adams herausgegebene Hochglanz-Magazin "Zoo" in seiner Erstausgabe neben einer Modestrecke mit Naomi Campbell und Nacktfotos von Courtney Love großformatige Bilder Steine schmeißender Jugendlicher beim G8-Gipfel in Genua: Glamour trifft Anti-Glamour trifft Revolution. Das war im Oktober 2003, und der Gipfel über zwei Jahre her.
Vom Ökobauernhof in der niedersächsischen Provinz war das Hauptquartier des Netzwerks nach Frankfurt am Main umgezogen, in das Herz des deutschen Kapitalismus. Man fand Verbündete in Verdi , bei Greenpeace , den "Freunden der Erde" und agitierte neuerdings auch gegen Krieg, Sozialabbau, Umweltzerstörung und Copyright. Was den Attac-Aktivisten als Notwendigkeit erschien, irritierte viele Sympathisanten. Das Jugendmagazin "Neon" , das ein halbes Jahr zuvor den Attacisten Sven Giegold zum "wichtigsten jungen Deutschen" erklärt hatte, lästerte nun über die Besserwisserei und das Palaver bei Attac: "Jeder hier hat ein persönliches Hobby – My Own Private Wirtschaftstheorie."
Auch langfristige Wegbegleiter Attacs sprachen sich zunehmend kritisch aus. "Wahrschauer" , das selbsterklärte "Magazin für Gegenkultur", hatte bereits 2002 ein Attac-Zitat dem nahezu identischen Textausschnitt eines Anti-Globalisierungs-Flugblatts der NPD-Jugendorganisation gegenübergestellt und auf die Anfälligkeit der Bewegung für rechtsradikale Unterwanderung hingewiesen. Während Rechte die Nähe suchten, übten sich Linke in Distanz. "Das Selbstverständnis von Attac ist kein Selbstverständnis", pöbelte eine kommunistische Zeitung. Attac sei strukturell antisemitisch, hieß es von verschiedenen Seiten. Und Jörg Bergstedt schrieb in seiner umfassenden Attac-Kritik "Mythos Attac" : "Nur die Slogans, Fahnen und Theatralik in den Straßenaktionen verleihen dem biederen Minimalreformismus den Flair des Revolutionären."
Attac, die Konzernkritiker mit der Corporate Identity . Attac, die außerparlamentarische Opposition mit Hang zu Rot-Grün. Attac, die Bewegung, deren Anführer sich nicht um die Basis zu scheren schienen. Attac, die Anti-Kapitalisten, die gar keine waren – das einstige Wunderkind der Linken wurde in Flugblättern und auf Podien hart beschossenen. Die Anfangseuphorie vieler war schnell verglüht: Trotz Medienprominenz ließen politische Erfolge noch auf sich warten. Auch haben die thematische Ausweitung und die Koalitionen mit Gewerkschaften, Parteipolitikern und anderen Nichtstaatlichen Organisationen Attac die exponierte Stellung gekostet, die das Netzwerk als stärkste Kraft in der Anti-Globalisierungsbewegung hatte.
Im April vergangenen Jahres feierte Attac Deutschland seinen fünften Geburtstag. Seitdem ist es still geworden um die "große ökonomische Alphabetisierungskampagne", wie Attac von seinem
wissenschaftlichen Beirat
in Bezug auf den Soziologen
Pierre Bourdieu
genannt wird. Eine Möglichkeit bleibt der Bewegung noch, die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit zurückzugewinnen: Vom 6. bis 8. Juni 2007 kommt der G8-Gipfel nach Heiligendamm bei Rostock. Es ist die vielleicht letzte Chance für die Globalisierungskritiker, eine neue Diskussion um globale Gerechtigkeit loszutreten. Darum geht es ihnen schließlich. Und nicht um Punkrock, Coolness und Medienhypes.
Weiterlesen:
Wo ist die andere Welt?
— Attac wendet sich gegen die Globalisierung. Doch womit anfangen?
Nach Hause
— Zuender. Das Netzmagazin.
31 /
2006
Zuender