Pro Wehrpflicht

Alle für die Heimat?

Lieber nicht. Solidaritätsgefühle sollten besser von allein kommen. Und für die Wehrpflicht gibt es heute bessere Argumente als vor 20 Jahren, glaubt Carsten Lißmann

Ja, die Wehrpflicht ist unbeliebt. Das war sie schon immer. Monate voll sinnloser Nichtbeschäftigung, herumkommandiert von ignoranten Sesselfurzern, sind wirklich nicht schön. Aber beides gibt es nicht nur beim Militär – dort lernt man nur besonders gut damit umzugehen.

Damit das gleich klar ist: Niemand soll zum Wehrdienst gezwungen werden, und wer mit dem einen oder anderen Trick auch noch dem Kreiswehrersatzamt entkommt, dem sei’s gegönnt. Neid entsteht oft aus zwanghaft gelebtem Gerechtigkeitssinn. Alle mal locker machen.

Es ist aber merkwürdig, dass der Ruf nach allgemeiner Dienstpflicht ausgerechnet mit dem Verweis auf Gleichberechtigung kommt. Allein die Idee ist so spießig wie meine Oma; die Argumente dafür könnten von ihr sein. Ein Jahr oder mehr im Dienste der Gesellschaft? Zum Zwecke der Identifikation mit dem Gemeinwesen? Du bist Deutschland? Das ist alles schon mal da gewesen. Am besten waren diese Pflichtveranstaltungen in jenen Gesellschaften organisiert, die wenig später aus vielfältigen Gründen – aber ausnahmslos – zusammenbrachen.

Hinter der Vermutung, dass durch eine Sozialdienstpflicht die Bindung an die Gesellschaft gestärkt würde, steht der Verdacht, dass mit der Gesellschaft etwas nicht stimmt. Vielleicht sollte man einfach da ansetzen, anstatt die Verantwortung per Dienstpflicht an die junge Generation zu delegieren.

Apropos delegieren: Wer das allgemeine soziale Jahr will, lehnt die Wehrpflicht ab. Doch in einer Welt, die Jahr für Jahr weiter auseinanderfällt, sind Armeen als Zeichen eines staatlichen Gewaltmonopols wichtiger als je zuvor. Hans-Christian Ströbele hat im April dieses Jahres den Kongo besucht und ist als fester Befürworter eines Bundeswehr-Einsatzes zurückgekehrt . Ja genau, der Fahnenfluchtanwalt Ströbele, der Soldaten mal " benutzbare Werkzeuge zur Kriegsführung " genannt hat.

Umso wichtiger ist es, mit diesem Gewaltmonopol bewusst umzugehen. Es sollte in der Mitte der Gesellschaft bleiben, und nicht – schon wieder – an eine Truppe bezahlter Berufssoldaten delegiert werden. Was mag leichter sein? Eine halb privatisierte Spezialeinheit per Dekret nach Afghanistan zu schicken, oder Tausenden von Müttern erklären zu müssen, dass das Grundgesetz auch am Hindukusch verteidigt wird? Verantwortung beginnt mit einer gesellschaftlichen Debatte und wer als Politiker so denken muss, wird keine Auslandsmission leichtfertig anzetteln – wie blauhelmig auch immer.

So doof das klingen mag: Wehrpflicht heute ist eine pazifistische Veranstaltung. Die Welt ist eben komplizierter geworden.

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30 / 2006
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