Forscher-Ideologie

Ein Fundament für Theorien

Dürfen Wissenschaftler Rassisten sein?

Die Kolumne von Selim Özdogan

Es gibt Menschen deren Haltung, politische Einstellung oder Verhalten ich mehr als fragwürdig finde und denen ich im echten Leben nicht begegnen möchte. Aber einige von ihnen haben Bücher oder Alben rausgebracht, die mich begeistern. Man mag das falsch finden, aber ich denke nicht, dass man sich als Autor oder Musiker an seinem Privatleben messen lassen muss. Dass Hunter S. Thompson seine Frau geschlagen hat, macht seine Bücher nicht schlechter und nur weil Mike Skinner in Interviews einen Haufen Schwachsinn von sich gibt, höre ich die Streets-Alben nicht seltener.

Aber wenn jemand ein Psychotherapeut ist, wenn jemand es sich zum Beruf gemacht hat, das Leid der Menschen zu lindern und ihnen zu einem emotionalen Gleichgewicht zu verhelfen, dann hängt die Latte höher, finde ich. Wer geistige Gesundheit vermitteln möchte, sollte selber genug davon haben, sonst entzieht er sich selbst den Boden. Man kann nicht zu Hause seine Kinder prügeln und hinterher den Patienten auf der Couch Strategien im Umgang mit der Welt mitgeben.

Und man kann auch nicht als Rassist und Nazi daherkommen, wie der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung (1875-1961). Aus dem Zusammenhang gerissene Zitate sind immer schwierig, aber ich glaube an den folgenden gibt es wenig zu deuteln:

"Die tatsächlich bestehenden und einsichtigen Leuten schon längst bekannten Verschiedenheiten der germanischen und der jüdischen Psychologie sollen nicht mehr verwischt werden, was der Wissenschaft nur förderlich sein kann."

"Die Ursachen für die Unterdrückung lassen sich in dem spezifisch amerikanischen Komplex finden, nämlich im Zusammenleben mit minderwertigen Rassen, besonders mit Negern. Das Zusammenleben mit barbarischen Rassen hat suggestive Auswirkungen auf die mühsam gezähmten Instinkte der weißen Rasse und trägt dazu bei, ihr Niveau zu senken."

Im Fall Jung haben wir ja kein konsumierbares Endprodukt, sondern zahlreiche Theorien, die heute noch Ansehen genießen. Aber was soll ich von den Theorien eines Mannes halten, der nicht von der Gleichheit der Menschen ausgeht? Warum geraten solche Namen nicht einfach in Vergessenheit? Warum ist so wenig über diese Seite des Mannes bekannt?

Ich gehöre nicht zu denen, die sofort Nazi und Verdrängung schreien und überall Gespenster sehen, aber in diesem Zusammenhang finde ich es interessant, dass der deutsche Wikipediaeintrag über Jung nur kurz den Verdacht des Antisemistismus erwähnt, während der englische Artikel dem Thema Jung and Nazism gleich ein Unterkapitel widmet.

Aber vergessen wir es einfach ganz.

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08 / 2008
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