Kolumne

Die sind nicht alle so

Selim hat eine Lieblingslehrerin. Weil sie anders ist

Von Selim Özdogan

Als Schreiber habe ich häufiger mit Journalisten und Lehrern zu tun. Ich weiß, daß es in beiden Berufsgruppen wunderbare Menschen gibt, die einen tollen Job machen.

Ich weiß es, aber zu oft habe ich mit den anderen zu tun.

Ich habe gelesen an einer Berufsschule, vor vier Klassen Einzelhandelskaufleuten, knapp 80 Schüler. Die Aula war belegt, wegen irgendeiner wichtigen Veranstaltung, also wurden alle zusammen in einen Klassenraum gepfercht. Der Termin stand ja erst seit drei Monaten fest.

Während der Lesung war es unruhig, viele haben geredet. Anfangs haben einige nach jedem deutlichen und lauten Satz von mir Hä? gesagt und auch sonst nichts unversucht gelassen, um mir zu zeigen, daß ich da vorne nicht der Chef bin.

Ich hingegen habe es erst freundlich versucht, dann unfreundlich gewarnt, und dann habe ich einzelne einfach rausgeschmissen. Um die richtigen zu erwischen, mußte ich oft vom Text hochsehen, habe mich mehr auf die Schüler konzentriert, als auf die Geschichte, die ich vorgelesen habe und war so nicht wirklich in der Lage einen guten Vortrag zu liefern. Das Lehrpersonal hat sich still und ruhig verhalten.

Hinterher habe ich den vier Lehrern, die dabeisaßen, gesagt, daß das einfach zu viele Schüler waren, daß ich so einen großen Haufen nicht in den Griff bekommen kann. Daß es sinnvoller wäre weniger Schüler zu haben, die dafür etwas mehr bekommen würden. Die Lehrer haben entgegnet, daß ich das schon sehr gut gemacht hätte und daß es bei jemand anders wohl viel lauter gewesen wäre. Und dann meinte einer: Da sehen Sie mal, wie schwer wir unser Geld verdienen. Wir machen das jeden Tag.

Und ich stand da und war mal wieder zu feige, oder auch nur zu höflich, um zu sagen: Echt? Ich wußte gar nicht, daß Sie jeden Tag vier Klassen auf einmal unterrichten.

Aber, wie gesagt, die sind nicht alle so. Es gab da zum Beispiel noch Britta Morf, eine Lehrerin, die ihren Schüler einfach eine Liste mit meinen Büchern gegeben und gesagt hat: Sucht euch irgendeins davon aus, kauft es, lest es, in sechs Wochen kommt der Autor und steht euch Frage und Antwort.

Oder so ähnlich.

Kann nicht jeder so machen, ist mir klar. Aber auf ungefähr neunundvierzig von den anderen kommt eine Britta Morf. Bleibt zu hoffen, daß meine persönliche Statistik nicht die Realität spiegelt.

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40 / 2006
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