RAP

Alles ist anders

Sido hängt mit Politikern ab fährt einen unspektakulären VW Touareg. Diese Umstände sind verantwortlich für seine bemerkenswerte Wandlung vom Problembezirk-Rapper zum Rap-Sozialarbeiter.

Von Boris Fust

Er habe es zu etwas gebracht, hatte Monika Griefehahn, Sprecherin der „Arbeitsgruppe Kultur und Medien“ der SPD-Bundestagsfraktion dem ehemaligen Bewohner des Problemkiezes Berlin-Reinickendorf eingeschärft. Nun solle er etwas daraus machen. Sido tut wie ihm geheißen: Als mittlerweile anerkannter Experte für Jugendkultur, den man gerne in Talkshows einlädt, wenn Jugendliche Autos in Brand setzen, erklärt er und wirbt um Verständnis. Neuerdings auch auf CD: Statt den spätpubertären, aber trotzdem amüsanten Stücken über Analsex und Kleinkriminalität gibt es nun Tracks über Pro und Contra des Drogenverzichts („Ich kiff nicht mehr“), des Generationenkonflikts („Ihr habt uns so gemacht“) und sogar des Schengener Abkommens („1000 Fragen“).

Derart herausgestelltes Gutmenschentum und die aufmerksame Anteilnahme am Tagesgeschehen schlägt sich natürlich auch musikalisch nieder: Auf „Bergab“ wird die Gitarre zu satten Handclaps gezupft, „Ein Teil von mir“ ersäuft fast in Streicher-Sülze. „Ich“ ist ein in jeder Hinsicht vorbildliches Album: Die Beats zeugen von ehrlichem Handwerk, die Texte von wachem Verstand und genauer Beobachtungsgabe. Real geht natürlich anders. Aber da Sido ohnehin aus der Szene herausgewachsen ist und beruflich eher Gast bei Stefan Raab als Rapper ist, war das zu erwarten. Die wirklich rauen Gesellen sind nun wieder dort zu finden, wo sie hingehören: im Underground.

Sido, „Ich“ (Aggro Berlin / Groove Attack)

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50 / 2006
ZEIT ONLINE