Urheberrecht

Wer tauscht, fliegt raus

Die Musikindustrie fordert, Nutzern von Tauschbörsen den Internetanschluss zu sperren. Das bedeutet Zensur.

Ein Kommentar von Markus Beckedahl

Worum geht es? Am vergangenen Freitag veröffentlichte der Verband der Musikindustrie einen offenen Brief . Darin forderten 200 Künstler die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich stärker für den Schutz des geistigen Eigentums einzusetzen.

Interessant ist vor allem ein Absatz, in dem die Autoren beklagen, dass die „milliardenschwere Telekommunikationsindustrie massiv von der Nutzung illegaler Inhalte profitiert.“ Dahinter verbirgt sich die Forderung, Internetprovider künftig zu verpflichten, illegale Downloads technisch zu blockieren.

Der Verband nennt eine französische und eine britische Initiative beispielhaft. In diesen Ländern wird Internetnutzern, die wiederholt illegale Inhalte heruntergeladen haben, die Leitung gekappt. Eine solche Regelung bedingt aber, dass Internetprovider den Datenverkehr ihrer Kunden überwachen und filtern.

Was bedeutet das für uns? Markus Beckedahl, Autor des Weblogs netzpolitik.org , kommentiert.

Debatten um geistiges Eigentum und Urheberrechte funktionieren meist nach einem bestimmten Schema: Die Rechteinhaber beklagen den Untergang des Abendlandes und die Bundesregierung erklärt brav , dass sie alle Forderungen der Industrie umsetzen werde. In den vergangenen Jahren ging es den Rechteinhabern vor allem darum, auch kleinste Verletzungen des Urheberrechts strafrechtlich zu verfolgen und die Identität von Tauschbörsennutzern selbst ermitteln zu dürfen (bislang ist das Staatsanwälten vorbehalten).

Anscheinend reicht das noch nicht, denn jetzt kommt der nächste Dreh: Nutzern von Tauschbörsen soll künftig der Internetanschluss dauerhaft gesperrt werden. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, hat die Plattenindustrie eine Kampagne mit den üblichen Superstars gestartet. Zweihundert bekannte Künstler behaupten, das Internet und Tauschbörsen würden jungen Künstlern ihre Zukunftschancen rauben. Und fordern, renitenten Fans das Internet wegzunehmen.

In Sonntagsreden wird gern die Internetzensur in China kritisiert. Wer aber einem Nutzer das Netz sperrt, zensiert ebenfalls: Wessen Anschluss gesperrt wurde, ist ausgeschlossen von der modernen Kommunikationswelt und ihren Möglichkeiten, Meinungen zu äussern. Mit solch einer Maßnahme verwehrt man Bürgern ihre Chance auf kulturelle und demokratische Teilhabe, versperrt ihnen den Zugang zu Wissen. Und wofür? Für nicht-kommerzielles Tauschen von Musik? In einer Zeit, in der sich die Superstar-Industrie weiterhin gegen vernünftige, marktbasierte Lösungen wehrt und nicht in der Lage ist, für die große Nachfrage nach Musik im Netz auch passende Angebote zu schaffen?

Die neue Forderung der Rechteindustrie ist Teil einer globalen Kampagne. Mit dem Unterschied, dass ihre Ideen in manchen Staaten (unter anderen den USA) keine Chance haben, Realität zu werden. In Europa aber funktioniert Netzpolitik anders als in den USA. Das bekannteste Beispiel ist die Vorratsdatenspeicherung , die in den USA so nicht möglich wäre.

In Frankreich und Grossbritanien wurde die Forderung nach Anschlusssperrungen schon früher auf den Tisch gelegt. Gemeinsam mit der Musikindustrie verkündeten die Regierungen der beiden Staaten, man helfe gern, ein „zivilisiertes Internet“ durchzusetzen. Das Europaparlament hat aber vor kurzem das Gegenteil beschlossen: Es forderte die Regierungen auf, von solch absurden Ideen Abstand zu nehmen.

In der Geschichte des Urheberrechtes gab es immer eine Balance zwischen den Interessen der Allgemeinheit, der Künstler und der Verwerter. Verbreiteten sich neue Technologien, wurde diese Balance immer wieder neu verhandelt. Das Radio wurde legalisiert, Fotokopierer setzten sich durch. Immer wieder versuchten die Rechteinhaber, Technologien zu verteufeln, wie sie es zurzeit mit den Tauschbörsen tun – dem Radio des 21. Jahrhunderts. Durchgekommen sind sie damit nie. Sonst hätten wir auf den kulturellen Gewinn verzichten müssen, den uns Videorekorder und Mixtapes beschert haben. In den vergangenen zehn Jahren aber wurden immer wieder einseitig die Rechte der Allgemeinheit abgebaut.

In Deutschland gilt das schärsfte Urheberrecht der Welt. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat vor kurzem ein Buch zu diesem Thema herausgebracht. Gut vierhundert Seiten sind nötig, um den Lesern einen Überblick zu verschaffen über die wichtigsten Problemfelder des Urheberrechts. Vielleicht sollte die Musikindustrie dieses Buch allen Haushalten zuschicken - teurer als andere Kampagnen dürfte das auch nicht werden.

In ihrem aktuellen Video-Podcast zum Tag des Geistigen Eigentums ruft Bundeskanzlerin Merkel die Gesellschaft dazu auf, über Urheberrechtsverletzungen im Internet zu diskutieren. Das ist dringend notwendig, denn in der politischen Debatte wurden in den vergangenen Jahren eigentlich nur die Rechteinhaber gehört. Nie ging es um Verbraucherrechte oder zukunftsfähige Lösungen dafür, wie man mit dem Internet umgeht, wenn es schon einmal da ist.

Die Forderung, Tauschbörsennutzern das Internet zu sperren ist irrsinnig, unverhältnismässig und unvernünftig. Die Bundesregierung und jene Künstler, die die Kampagne der Musikindustrie unterstützen, sollten sich schämen. Denn die Probleme der Künstler löst man so nicht. Vernünftiger wäre es, neue Technologien und medialen Wandel zu umarmen und innovative Geschäftsmodelle dafür zu entwickeln.

Dank des Internets erhalten heute weit mehr Musiker Aufmerksamkeit als früher. Statt einigen wenigen bekommen viele etwas vom Kuchen ab. Dass jetzt ausgerechnet jene Superstars laut jammern, die bisher als Mainstream wie Fettaugen auf der Suppe schwammen, ist deshalb ein gutes Zeichen.

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18 / 2008
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