Musik

Gegen den Strich gebürstet

Jimi Tenor hat ein Album mit Coverversionen der klassischen Avantgarde aufgenommen. Über Risiken und Nebeneffekte der Fusion von Pop und Klassik sprach er mit Hendrik Lakeberg

Die Deutsche Oper hat sich in Schale geworfen. Wie ein Kleid, bestickt mit übergroßen Pailletten, spannt sich ein glitzerndes Netz aus dicht geknüpften Metallplättchen um den klotzigen Bau.  Es ist der Eröffnungsabend der Popkomm.

Im Foyer des Opernhauses thront der finnische Pop-Exzentriker Jimi Tenor inmitten eines Orchesters. Er dreht an den Knöpfen antiquierter Synthesizer und hantiert mit einem Ventilator, der seltsam flirrende Klänge erzeugt. Wie hinter dem Steuerpult eines Raumschiffs steht er da. Aus den Boxen rumort es, Schlagzeugrhythmen scheppern. Ab und an bringen samtige Streicher ein wenig Ruhe in die sperrigen Klänge.

Anlass der Veranstaltung: Jimi Tenor stellt sein neues Album "ReComposed" vor. Es ist eine Auftragsarbeit. Die Deutsche Grammophon bat ihn, sich mit klassischer Musik auseinanderzusetzen und öffnete ihm dafür die Tür zum hauseigenen Archiv. Tenor wählte zwölf Stücke aus - allesamt Kompositionen der sperrigen klassischen Avantgarde . Diese bearbeitete er mit seiner charmant krakeligen Handschrift und verzierte sie mit den Klängen alter Synthesizer, absurd simplen Melodien und hörspielartigen Textpassagen.

"Wie kann Klassik cool werden?" scheint eine Kernfrage gewesen zu sein, die sich die Deutsche Grammophon gestellt hat, bevor sie Tenor um ein Album bat. Bei der langsam aber stetig sinkenden Zahl von Klassik-Hörern kein Wunder. Gesucht wird hier nicht nur nach neuer Kundschaft, sondern langfristig auch nach einer Überlebensstrategie für klassische Musik. Eine Antwort auf den zunehmenden Hörerschwund ist das "ReComposed"-Album von Tenor. Eine andere ist eine Veranstaltungsreihe, bei der Konzerte mit klassischer Musik an die hippen Orte der Clubkultur verlegt werden. Beide Strategien firmieren bei der Deutschen Grammophon unter dem Label Yellow Lounge .

An diesem Abend aber spielt die Yellow Lounge verkehrte Welt. Jimi Tenor, der mit seinem mittlerweile über zehn Jahre alten Techno-Hit "Take me Baby" und zahlreichen Veröffentlichungen auf dem legendären Elektronik Label Warp fast schon ein Veteran der Clubkultur ist, kommt in die Deutsche Oper, einen Tempel deutscher Hochkultur. Anders als erwartet, funktioniert die Fusion von Klassik und Pop. Es macht Spaß Tenor dabei zuzuhören, wie er die Sperrigkeit der klassischen Avantgarde mit seinen verspielten Albernheiten gegen den Strich bürstet.

Zwei Tage später sitzt Jimi Tenor in einem Café im Berliner Sony Center. Aus den Lautsprechern plärrt der Soundtrack der Teenie-Schmonzette "Dirty Dancing". Etwas mürrisch und misstrauisch blickt er durch seine überdimensionalen Brillengläser und erzählt von seinen Erfahrungen mit dem Orchester der Deutschen Oper, seinem Faible für die klassische Avantgarde und die Vorzüge der Popmusik.

Du hast für das "ReComposed"-Album fast nur Stücke der klassischen Avantgarde gewählt. Kannst du dich erinnern, welches Stück dich in der Vergangenheit besonders beeindruckt hat?

Als ich auf dem Konservatorium war, habe ich in einem Blasmusik-Ensemble gespielt. Mit diesem Ensemble haben wir ein Stück der klassischen Moderne aufgeführt. Der Klang der Musik war für mich absolut neu und hat mich tief beeindruckt - im Gegensatz zum Rest unseres Repertoires. Das waren Marschmusik-Standards und abgedroschene Klassik-Stücke. Dabei habe ich nichts gefühlt.

Du warst auf einem Konservatorium? Du hattest also schon vor dem "ReComposed"-Album Kontakt zu klassischer Musik.

Ja, für kurze Zeit. Aber ich war ein schlechter Student, das Üben fiel mir schwer. Erst als ich angefangen habe in Bands zu spielen, kam für mich der Punkt, an dem Musik richtig aufregend wurde. Manchmal ist es viel schwerer, in einer Band zu spielen, in der niemand mehr als drei Akkorde beherrscht. Man muss herausfinden, wie man mit diesen drei Akkorden Musik erfindet, die trotz schlechter handwerklicher Fähigkeiten interessant klingt. Das war für mich eine viel größere Herausforderung, als Stücke vom Notenblatt zu spielen.

Als Hörer ist es schwer, sich mit der klassischen Avantgarde emotional zu identifizieren. Sie klingt schräg und arbeitet oft gegen die Hörgewohnheiten. Wie war das mit den Stücken, die du für das "ReComposed-"Album aufgenommen hast?

Ein Ziel dieser Musik war ja, Gefühle beiseite zu schieben. Es ging in erster Linie um die Musik selber, um das, was man mit dem Material Musik anstellen kann. Ich ticke da aber komplett anders. Ich bin ein totaler Romantiker und möchte unbedingt, dass meine Musik die Hörer emotional bewegt. Dieser Gegensatz hat die Arbeit an dem Album so spannend gemacht. Beides zu verbinden ist mir, wie ich finde, bei dem Stück von Georgi Sviridov besonders gut gelungen. Ein sehr ruhiges, langsames Stück. Das Original ist sehr schön, aber ehrlich gesagt bewegt mich meine Version mittlerweile viel mehr. Ich habe Elemente ergänzt, die meinem musikalischen Stil näher lagen – rhythmische Klänge und kleine Melodien, die man mitsummen kann. Dadurch wurde das Stück plötzlich viel hypnotischer.

Ein Ziel der Yellow Lounge-Reihe ist es, junge Leute an Klassik heranzuführen. Warum sollten die sich für klassische Musik interessieren? 

Zurzeit besteht das Publikum für Klassik größtenteils aus älteren Damen, die in kleinem Kreis Champagner schlürfen und Häppchen essen. Welche Musik dazu läuft, ist im Grunde egal. Das ist eigentlich verrückt, wenn man bedenkt, dass ein überdimensional großer Teil der staatlichen Fördergelder für Kultur in die klassische Musik fließt. Mit jungen Leuten hätte Klassik vielleicht wieder ein ordentlicheres Publikum. Andererseits ist das junge Klientel, das in die Clubs geht, auch nicht besser. Die meisten wollen einfach nur durchdrehen. Die Musik ist eine Entschuldigung für übermäßigen Alkoholkonsum und die Suche nach einem Partner. Ich bin mir nicht sicher, ob die wirklich bessere Zuhörer wären.

Was könnte Pop-Musik von klassischer Musik lernen?

Vielleicht die Disziplin. Und dass es nicht unbedingt notwendig ist so laut zu sein. Die meisten Anlagen in den Clubs übersteigen die Kapazitäten unserer Ohren, da sind die Proportionen verrutscht. Viele Leute benutzen auf Pop-Konzerten Ohrstöpsel. Wenn sie das nicht täten, hätten sie für Tage danach noch ein Klingeln in den Ohren. Motörhead ganz ohne Ohrschutz – das wäre so laut, man könnte der Musik wahrscheinlich gar nicht richtig folgen. Man sollte Musik ruhiger genießen.

Und im musikalischen Sinne? Kann Pop-Musik da von der Klassik lernen?

Vielleicht in Bezug auf die musikalischen Strukturen. Pop-Musik könnte manchmal etwas komplizierter und durchdachter sein. Auf der anderen Seite ist natürlich gerade das Schöne an ihr, dass sie so einfach zu verstehen ist. Die westliche klassische Musik hat dagegen fast lächerlich komplizierte Strukturen, es gibt zum Beispiel zu viele Akkordwechsel. Aber ich will Pop-Musik nicht grundsätzlich verteidigen. Oft ist sie einfach schlecht.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit dem Orchester der Deutschen Oper?

Einige der Musiker schienen über die Zusammenarbeit mit mir nicht so glücklich zu sein. Während der Proben haben sie immer wieder gefragt, wie spät es sei und wann wir fertig seien
- als wären sie Gewerkschafter. Auch wenn wir noch nicht wirklich fertig waren, sind sie nicht länger geblieben. Ich hätte es als normal empfunden zu bleiben bis das Stück sitzt. Die sind aber einfach nach Hause gegangen. So etwas muss sich ändern. Auch klassische Musik braucht Enthusiasmus und aufrichtiges Engagement. Wenn es in Berlin nur ein Orchester gäbe, bin ich mir sicher, dass die Musiker geblieben wären. Natürlich ist es sehr schwer, eine Stelle als Orchester-Musiker zu bekommen, aber wenn man mal drin ist, ist es ein sehr sicherer Job.

An manchen Stellen auf dem Album scheint es als würdest du die Musik nicht richtig ernst nehmen. Bei einem Stück von Pierre Boulez etwa. Machst du dich über die Originale lustig.

Es ging mir nicht darum, mich über die Originale lustig zu machen. Das Boulez-Stück habe ich sehr ernst genommen. Es gibt darin eine extrem schwierige Passage mit einem Cello. Mir ist aufgefallen, dass, wenn man nur ein Riff nimmt, die Musik wie Bluegrass klingt. Deswegen habe ich dann einen Hillibilly-Rhythmus darunter gelegt. So ein bisschen Cowboy-mäßig. Das ist wahrscheinlich das letzte, woran Boulez dachte, als er es schrieb. Aber ich habe gehört, dass er meine Version lustig findet. 

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32 / 2006
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