Graffiti

Kleben statt gehorchen

"Wenn du es ernst meinst, musst du raus auf die Straße und was riskieren", sagt Shepard Fairey. Deshalb ist es ihm auch egal, wenn er für seine Graffiti ins Gefängnis kommt.

Von Kati Krause

Shepard Fairey ist müde. Gerade erst sind er und seine Frau aus London angereist, mit ihrer zweijährigen Tochter. Gerade erst haben sie sich von dieser teuflischen Magen-Darm-Grippe erholt, die sie tagelang mit Krämpfen geplagt hat. Gerade erst sind die drei in die Maxalot Gallery gekommen, versteckt in einer kleinen Gasse in der Altstadt Barcelonas.

"Mann, wir waren vielleicht krank" stöhnt er. Sein Gesicht verzieht sich bei dem Gedanken. Max Akkerman und Lotje Sodderland von der Galerie Maxalot nicken mitleidig. "Ich glaube, wir haben uns das bei Banksy eingefangen. Immerhin fing es an, nachdem wir seine Wohnung in London verließen."

Moment. "Du kennst Banksy?" hake ich nach, als wir ein paar Minuten später alleine an einem Tisch sitzen. "Klar kenne ich den – er ist einer meiner besten Freunde." "Und wie nennst du ihn?" Shepard lacht.

Es ist das einzige Mal, dass er während des Interviews eine Frage nicht beantwortet. Shepard ist so geübt darin, über seine Kunst zu sprechen, dass die Worte trotz seiner Müdigkeit flutschen wie ein Pinsel auf Kleister.

Shepard Fairey ist 36 Jahre alt. 17 davon hat er damit verbracht, seine Kunst auf der ganzen Welt zu verbreiten, sie so öffentlich auszustellen wie möglich – auf der Straße. An Hauswänden und Schildern, an Zäunen und Laternenpfählen. Das ist in den meisten Städten verboten, in manchen sogar mit Haftstrafen geahndet. 13 Mal saß er schon im Gefängnis, immer in den Vereinigten Staaten. In Berlin wurde er einmal von misstrauischen Polizisten angehalten, erzählt er. "Ich hatte aber nur den Eimer mit Kleber und nicht die Poster dabei. Da haben sie mir wild gedroht, konnten aber sonst nichts machen."

"Ich habe auch ein Tattoo," sagt er und zieht den Ärmel seines T-Shirts hoch. "Diabetic" steht auf seiner Schulter. "Ich bin Diabetiker, und jedes Mal, wenn ich verhaftet wurde, nahm mir die Polizei meine Spritze und mein Insulin weg. Da hab ich mir das Tattoo stechen lassen, damit man mir glaubt."

The Medium is the Message

Um nicht ins Visier der Polizei zu rücken, bleiben andere street artists wie Banksy lieber anonym. Aber Shepard Fairey hat etwas Messianisches – es geht ihm nicht in erster Linie um die Kunst, sondern darum, eine Nachricht zu verbreiten. Weil man diese auf der Basis seiner Poster allein nicht verstehen würde, ergänzt er seine Kampagne mit Erklärungen in Wort und Schrift – ziemlich untypisch für einen Straßenkünstler.

Die sehen dann so aus: "Ein Großteil meiner Arbeit ist eine Reaktion auf die Machtlosigkeit und den Mangel an Mitspracherecht normaler Menschen. Ich mache das nicht nur, weil es mir Spaß macht, ich will eine Kettenreaktion hervorrufen. Ich will, dass die Leute meine Arbeiten sehen und sagen: ‚Wow, ich könnte auch so was machen.’ Die Idee ist, unser Umfeld nicht einfach hinzunehmen, sondern ein eigenes zu schaffen. Und wenn ich nur einen einzigen Menschen beeinflussen kann, dann ist das immer noch besser, als den ganzen Tag rumzusitzen."

Das Ganze fing 1989 an, als Fairey an der Rhode Island School of Design studierte und mit ein paar Freunden einen Aufkleber mit dem Konterfei eines bekannten Wrestlers kreierte. "André the Giant has a Posse" – "André der Riese hat einen Trupp" stand darauf. In kürzester Zeit verbreiteten seine Anhänger die Sticker zuerst entlang der amerikanischen Ostküste und schließlich weltweit. Das Design ist inzwischen abstrakter geworden, und das Motto wurde zu "OBEY Giant".

"Ich weiß nicht, wie das hier in Europa läuft, aber in den USA gehorchen die Leute ständig irgendwem – nicht, weil sie ausdrücklich dazu aufgefordert werden, sondern weil man irgendein Gesetz oder eine Norm befolgen muss. Oder weil ihr Chef ihnen sagt, sie sollen etwas auf eine bestimmte Art und Weise tun. Und obwohl sie es besser wissen, widersetzen sie sich nicht. Es gibt eine Million Arten, auf die Menschen gehorchen. Dabei sollte man doch lieber fest hinter dem stehen, woran man glaubt. Man sollte sich nicht anpassen oder einfach den leichtesten Weg wählen."

Gegen Bush, für DJ Shadow

Fairey ist ein Staßenkünstler der Alten Schule. Deshalb hält er nichts von Organisationen wie der Woostercollective aus New York. Wooster Street ist eine für ihre Graffiti bekannte Straße, und die Woostercollective eine Website, die Fotos von Graffitis veröffentlicht. "Viele Typen kleben einfach zwei Poster an die Wand, schicken ein Fotos davon an die Woostercollective, und schon kriegen sie eine Ausstellung." Ein bisschen verbittert klingt er dabei. "Ich war schon lange vor dem Internet da. Aber heute schauen die Leute nur noch ins Netz, nicht mehr auf die Straße. Es geht doch darum, dich auszudrücken, ohne den Regeln zu folgen. Dafür musst du raus auf die Straße und was riskieren. Um zu zeigen, dass du es ernst meinst!

Klingt ja alles schön und gut. Doch was wird aus der street credibility , der unter Graffiti-Künstlern so hoch gehandelten Glaubwürdigkeit, wenn man anfängt, so viel Geld zu verdienen, wie Shepard das inzwischen tut? Wenn man zum Beispiel ein Album für DJ Shadow designt und das Filmposter für die Johnny Cash-Biografie "Walk the Line"?

"Von seiner Kunst zu leben, ist viel besser, als irgendeinen langweiligen Job machen zu müssen. Viele Leute sagen, dass du dich verkaufst, wenn du in Galerien ausstellst. Ich glaube, die sagen das nur, weil sie Angst haben. Als ich noch jünger war, traute ich mich nicht, in Galerien auszustellen. Sie schienen mir zu elitär. Ich machte lieber Kunst, die die Menschen nicht einschüchterte, bei der sie nicht glaubten, etwas verstehen zu müssen. Heute ist das anders, es gibt viele Galerien, die street art ausstellen. Das ist okay, aber man muss auch weiter sein eigenes Ding machen."

Nicht alle sind glücklich über Shepards finanziellen Erfolg. Seit 2005 gibt es deshalb die World Giant-Bewegung – um sicherzustellen, dass die eigentliche Bedeutung der Kampagne nicht im Kommerz untergeht.

Doch Shepard Fairey glaubt weiterhin an die politische Aussagekraft seiner Kunst – gegen Bush und gegen blinden Gehorsam. Und Graffiti ist und bleibt die wichtigste Ausdrucksform dafür, weil es basisdemokratisch und für alle zugänglich ist: Wacht auf, schaut her, denkt nach!

"Ich bin kein Anarchist", fügt er noch hinzu. "Ich bezweifle nicht, dass Regeln existieren müssen. Ich hinterfrage sie nur."

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Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

32 / 2006
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