Selim Özdogan
Verstehst du freundlich?
Selim Özdogan versucht es im Guten. Und scheitert an jammernden Studenten. Passen die Schuhe, vergisst man die Füsse
Als ich in einem Copy-Shop gearbeitet habe, kam es häufiger vor, daß jemand schon vor dem Laden wartete, wenn ich um zehn vor acht aufschloß, damit bis acht alle Geräte warmgelaufen waren. Wenn dieser Mensch jung war, verzweifelt, gestresst, übernächtigt und ein wenig neben sich wirkte, wußte ich schon, wo das Problem lag: Magister- oder Diplomarbeit, in seltenen Fällen auch eine umfangreiche Hausarbeit, die in spätestens zwei Stunden abgegeben werden mußte. Außerdem ein Rechner, der abgestürzt war, ein Drucker, der streikte, eine Diskette, die verloren gegangen war, Fußnoten, die auf unerklärliche Weise verschwanden oder Literaturlisten, die nicht auffindbar waren. Dreimal Exemplare mit Klebebindung, das schaffe ich locker bis zehn Uhr, beruhigte ich den aufgelösten Studenten, entspann dich. Ich arbeite schon einige Zeit in diesem Job, du wirst pünktlich abgeben, versprochen.
Das hatte oft zur Folge, das diese Menschen, die so gerne alles auf den letzten Drücker machen, nun mich unter Druck setzten, wenn ich nebenher noch andere Kunden bediente: Es ist schon viertel vor neun, glaubst du wirklich du schaffst das? Ich war aber vorher da. Ich glaube nicht, daß dieser Kunde die gleiche Priorität hat wie ich. Findest du nicht, du nimmst das auf die leichte Schulter? Wenn ich nicht pünktlich bin, falle ich durch. Dir scheint nicht klar zu sein, worum es hier geht. Hätte ich geahnt, daß man hier so behandelt wird, wäre ich woanders hingegegangen.
Nie war einer von denen wegen mir zu spät, aber ich war oft genug genervt.
Also habe ich die Taktik geändert. Wenn morgens so ein verheulter Student vor dem Laden wartete, habe ich ihn sein Anliegen vortragen lassen und dann gesagt: Hu, das wird knapp, in zwei Stunden, das kann ich nicht versprechen, aber es müsste zu machen sein. Du kannst es natürlich auch noch woanders versuchen, wenn dir das zu unsicher ist.
Die, die dann mit reingingen, saßen dann immer kleinlaut da, warteten brav und versuchten nicht, mich zu gängeln. Das machte mir die Arbeit leichter, aber dabei wollte ich gar nicht so sein. Ich wäre gerne freundlicher gewesen, aber das ist eine Sprache, die viele Menschen nicht verstehen. Und dann geht man dazu über, auch mit denen, die sie verstehen würden, in einer anderen Sprache zu reden. Ich finde es nicht richtig, aber ich kann es auch nicht ertragen, ständig gernervt zu werden und eine Verantwortung zugeschoben zu bekommen, die einfach nicht meine ist. Was kann ich dafür, dass so ein Rechner abstürzt?
Es gibt den Spruch mit dem kleinen Finger und ich verstehe auch den Stress dieser Menschen, aber es gibt diese Situationen, da die eigene Freundlichkeit den Preis nicht wert scheint, den man dafür bezahlt.
Und dennoch hätte ich es lieber anders gemacht.
20 /
2006
ZEIT ONLINE