Religion in Bolivien

Wenn der Papst wüsste

Die Bauern in der Kirche von Ixiamas rauchten Zigaretten und kauten Kokablätter. Sind sie deshalb schlechte Katholiken?

Die Kolumne von Selim Özdogan

Südamerika ist bekanntermaßen überwiegend katholisch. Ixiamas in Bolivien ist ein Dorf, ein paar schachbrettartig angelegte breite unbefestigte Straßen, hauptsächlich Bretterbuden, nichts Nennenswertes, den Kern des Ganzen hat man in zehn Minuten abgelaufen.

Hier fand eine Versammlung von Kakaobauern statt. Deren Ziel war es, gemeinsame Ziele und Strategien zu formulieren, sich zu informieren über Krankheiten, die die Kakaopflanzen befallen können und sich gemeinschaftlich zu organisieren. Die Teilnehmer kamen aus verschiedenen mehr oder weniger nahe gelegenen Regionen, einer hatte dreizehn Stunden Fußmarsch hinter sich.

Die Zusammenkunft fand in einer Kirche statt, einem Steingebäude, das von außen nicht unbedingt nach einem Gotteshaus aussieht. Drinnen ein rechteckiger Raum, Betonboden, Holzbänke, auf denen drei bis bis vier Menschen nebeneinander sitzen können, einige bunte Plakate, ein Kruzifix vorne an der Wand, daneben Bilder von Heiligen und mit Bunstift gemalte Bilder von Kindern, die biblische Szenen darstellen.

Die Heiligenbilder wurden abgenommen, die Kinderzeichnungen blieben. Da es keinen Strom gab, wurde er per Generator erzeugt und mit einem Beamer wurden Grafiken an die nackte Wand geworfen, rechts von Jesus.

Links des Gekreuzigten waren auf einem großen Blatt mit Edding die Regeln der Zusammenkunft aufgeschrieben: 1. Pünktlich sein, 2. Alle dürfen teilnehmen, 3. Die Meinung der anderen respektieren, 4. Konkret sein, 5. Nicht schlafen.

Wie bei solchen Versammlungen hier üblich, wurde an die Teilnehmer Coca verteilt, auf dass sie Regel Nummer 5 einhielten und wach und konzentriert zuhörten. Um sie bei Laune zu halten, gab es außerdem auch Zigaretten und Bonbons. So saßen sie dann in diesem Gotteshaus da, kauten, rauchten und lutschten und mir fiel dieser Witz ein, von dem Mann, der vor der Kirche bettelt: Um Gottes Willen, eine milde Gabe, eine milde Gabe. Doch so sehr er sich den Kirchgänger auch an die Röcke hängt, deren Taschen bleiben verschlossen.

Der arme Mann hat Hunger, muss essen und in seiner Verzweiflung setzt er sich vor eine Kneipe und sagt wieder seinen Spruch auf: Um Gottes Willen, eine milde Gabe, eine milde Gabe.

Und die Leute, die in Alkohollaune raustorkeln, geben ihm gerne, worauf er in den Himmel schaut und sagt: Mein Herr, das soll mal einer verstehen, schau mal was für eine Adresse du angibt und wo du dann am Ende wohnst.

Aus dieser Kirche in Ixiamas kommen wohl Menschen, die gerne geben. Selbst wenn sie selber nichts haben und ihre Gründe, das Gebäude zu betreten aus katholischer Sicht mehr als zweifelhaft sind.

Mehr von Selim Özdogan:

Milchlos froh - In dem kleinen Supermarkt in Bolivien ist die Auswahl gering und manchmal gibt es nicht einmal Nudeln. Schlimm ist das nicht. Im Gegenteil

Die Scheibe ist raus - In Deutschland zahlt man fürs Heizen, in anderen Ländern ist es so warm, dass man nicht einmal ordentliche Fenster braucht. Das wirft Fragen auf

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

20 / 2008
ZEIT online