Selim Özdogan
Disziplin oder wieviel Espresso passen in einen Tag
Vor zwei Jahren habe ich mir das Kaffee trinken abgewöhnt. Jetzt habe ich mir das Abgewöhnen abgewöhnt.
Mein Vater hat es sich schon vor einigen Jahren angewöhnt, zum Mittagessen ein bis zwei Gläser Wein zu trinken und abends einen doppelten Schnaps. Jeden Tag.
- Wieso sollte ich damit aufhören, sagt er, ich weiß ja, daß ich es kann, wenn ich will. Ich bin ja ein disziplinierter Mensch.
Klar, man hat das schon oft gehört und weiß, daß Süchte genauso anfangen. Aber bei meinem Vater stimmt es. Seine Selbstberrschung ist außergewöhnlich und ich habe in in den letzten Jahrzehnten oft erleben können, daß er seinen Willen und seine Kraft keinesfalls überschätzt.
Als ich 2005 aufgehört habe, Kaffee zu trinken, dachte ich, da wäre auch etwas von dieser Disziplin in mir. Ich hatte es satt, daß morgens der Tag erst nach dem Kaffee anfing, aber keinesfalls vorher, ich bin kein Freund von Abhängigkeiten und es war ein weiterer Versuch nach den Regeln des Yoga zu leben.
Doch ich bin kein Dogmatiker und wenn ich Lust hatte Kaffee zu trinken, habe ich welchen getrunken. Also so ungefähr zwei, drei im Monat. Das ging so einige Zeit gut. Wobei mir nicht klar war, daß das auch mit der Qualität des Kaffees zu tun hat, den man in Deutschland so bekommt. Als ich 2006 für zwei Monate in Madrid war, schmeckte der Kaffee so lecker, daß ich eher fünf die Woche getrunken habe und mich an der Wirkung berauscht.
Nun war ich für einige Tage in Lissabon und auch dort schmeckt der Kaffee außerordentlich gut und ein Espresso kostet selten mehr als 60 Cent. Was ein weiterer Grund war, zu schauen, wieviel Espresso denn in einen Tag passen könnten. Es waren circa fünf. Alle haben geschmeckt und Spaß gemacht.
Und ich habe mich mal wieder gefragt: Habe ich die Disziplin meines Vaters? Ich würde gerne mit ja antworten, aber in diesem Fall ist die Wahrheit wohl: Kaffee schmeckt mir einfach viel zu gut, als daß ich es nochmal ausprobieren möchte. Ich trinke jetzt einfach wieder täglich oder wie es sich sonst ergibt und freu mich daran. Zwei Jahre Pause sind genug.
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03 /
2008
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